Eine neue Studie sorgt für Aufsehen in der MS-Forschung: Hohe Dosen von Vitamin D3 (Cholecalciferol) könnten die Krankheitsaktivität bei Menschen mit einem klinisch isolierten Syndrom (CIS) – der ersten Manifestation einer Multiplen Sklerose (MS) – ähnlich wirksam bremsen wie etablierte Immuntherapien. Dennoch warnen Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vor einer unkontrollierten Einnahme in hohen Dosierungen.
In der randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie erhielten 316 Patienten mit CIS – 70 % davon Frauen, Durchschnittsalter 34 Jahre – entweder alle zwei Wochen 100.000 internationale Einheiten (IU) Vitamin D3 oder ein Placebo. Nach zwei Jahren zeigte sich: In der Vitamin-D-Gruppe traten bei 60,3 % der Teilnehmer Schübe oder neue Läsionen im MRT auf, in der Placebogruppe waren es 74,1 %. Die Zeit bis zur Krankheitsaktivität verlängerte sich unter Vitamin D signifikant (432 vs. 224 Tage). Auch die Bildgebung bestätigte weniger aktive Läsionen bei den behandelten Patienten.
Besonders aufschlussreich war eine Subgruppenanalyse bei 247 Teilnehmern mit bestätigter schubförmig-remittierender MS, die noch keine Immuntherapie erhielten. Hier zeigte Vitamin D ebenfalls positive Effekte. „Das könnte bedeuten, dass Vitamin D die Krankheitsprogression in der Frühphase der MS deutlich verlangsamen kann“, sagt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Die Schubratenreduktion war vergleichbar mit der einer Immuntherapie – ein Ansatz, der weiter erforscht werden muss.“
Vitamin D: Kein Allheilmittel ohne Kontrolle
Die Studie untermauert die Empfehlung, Vitamin-D-Mängel bei MS-Patienten auszugleichen. Doch die DGN und Leitlinienautor Prof. Dr. Achim Berthele warnen vor Selbstmedikation mit hohen Dosen. „100.000 IU alle zwei Wochen entsprechen etwa 7.000 IU täglich – das ist deutlich mehr als die empfohlene Höchstdosis von 4.000 IU bei Normalwerten“, erklärt Berthele. Ohne ärztliche Überwachung drohen Risiken wie Nierenversagen oder Herzrhythmusstörungen. Zudem schloss die Studie Patienten mit hohen Vitamin-D-Spiegeln (>100 nmol/l) aus Sicherheitsgründen aus.
Die aktuelle S3-Leitlinie zur MS-Therapie rät zur Supplementierung nur bei Mangel, maximal bis in den hochnormalen Bereich (50-125 nmol/l). „Betroffene sollten positive Studien nicht als Anlass nehmen, in Eigenregie Ultra-Hochdosen einzunehmen“, mahnt Berthele. Eine Studie aus Neuseeland und Australien (2023) fand zudem keinen Nutzen von bis zu 10.000 IU täglich – die Datenlage bleibt widersprüchlich.
Was bedeutet das für Patienten?
„Niemand sollte eine bewährte Immuntherapie zugunsten von Vitamin D abbrechen oder deren Start verzögern“, betont Berthele. Die Studie zeigt jedoch: Ein Vitamin-D-Mangel sollte immer korrigiert werden, da Betroffene mit niedrigen Spiegeln besonders profitierten. „Eine Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels zu Krankheitsbeginn ist essenziell“, so der Experte. Ob Vitamin D Immuntherapien ergänzen oder gar ersetzen könnte, bleibt offen. „Wir brauchen mehr Daten, etwa zu additiven Effekten oder einer präventiven Wirkung vor Symptombeginn“, sagt Berthele.
Die Studie liefert spannende Ansätze, doch Experten fordern weitere Forschung, bevor Therapieempfehlungen angepasst werden. Bis dahin bleibt Vitamin D ein wichtiger Baustein – aber kein Ersatz – in der MS-Behandlung.
Originalpublikation:
doi: 10.1001/jama.2025.1604
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