Die US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) plant eine massive Ausweitung ihrer Social-Media-Überwachung, um Deportationsrazzien und Festnahmen zu erleichtern. Laut einem Bericht der Technologiezeitschrift WIRED vom 3. Oktober 2025 will ICE rund 30 externe Contractor einstellen, die rund um die Uhr Posts, Fotos und Nachrichten auf Plattformen wie Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und X (ehemals Twitter) durchforsten sollen. Die Informationen dienen als Grundlage für „frische Leads“ bei Durchsetzungsmaßnahmen gegen Undokumentierte. Der Bericht basiert auf federalen Ausschreibungsunterlagen, die WIRED-Journalist Dell Cameron einsehen konnte.
Details des geplanten Programms
Das Projekt soll in zwei wenig bekannten Targeting-Centern von ICE laufen: einem in Vermont und einem in Südkalifornien. Die Contractor – private Analysten – sollen die Einrichtungen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche besetzen und Fälle unter strengen Fristen bearbeiten. ICE sucht nach Anbietern, die nicht nur Personal stellen, sondern auch die neuesten abonnementbasierten Überwachungssoftware-Lösungen bereitstellen können. Der Vertrag könnte sich über mehrere Jahre erstrecken, bis mindestens 2031, mit einem jährlichen Budget von über einer Million US-Dollar allein für Tools und Ausrüstung.
Ein zentrales Element ist die Integration künstlicher Intelligenz (KI): ICE fordert Vorschläge, wie Algorithmen in die Analyse einfließen könnten, um riesige Datenmengen zu filtern und Leads zu generieren. Die gesammelten Daten aus Social Media und Open-Source-Quellen fließen direkt in ICEs zentrale Untersuchungsdatenbank ein, die vom Tech-Riesen Palantir Technologies betrieben wird. Palantir, bekannt für seine Rolle in der Big-Data-Analyse für Behörden, nutzt bereits algorithmische Methoden, um große Bevölkerungsgruppen zu durchsuchen und Verdächtige zu identifizieren. Das neue System würde diesen Prozess weiter automatisieren, indem es Echtzeit-Inputs aus Social Media einbindet.
Trotz der ambitionierten Pläne gibt es Einschränkungen: Contractor dürfen keine Fake-Profile erstellen, nicht mit Nutzern interagieren oder personenbezogene Daten auf eigenen Servern speichern. Ziel ist es, Missbrauch zu vermeiden, doch Kritiker bezweifeln die Wirksamkeit solcher Regeln.
Das Programm befindet sich derzeit in der „Request for Information“-Phase, in der ICE Interesse potenzieller Anbieter prüft, bevor ein formeller Ausschreibungsprozess startet. Eine Sprecherin von ICE hat auf Anfragen von WIRED bisher nicht reagiert.
Hintergrund: Von der Kritiker-Überwachung zur Massenanalyse
Dies ist nicht ICEs erstes Vorhaben in Richtung digitaler Überwachung. Bereits im November 2024 hatte die Behörde Contractor gesucht, um Social-Media-Posts auf „negative Sentiments“ gegenüber ICE zu analysieren – inklusive Bewertung einer „Neigung zu Gewalt“ anhand psychologischer Profile und Gesichtserkennung. Frühere Enthüllungen durch The Intercept zeigten, dass ICE Software einsetzt, um Dossiers über Flagged-Personen zu erstellen, die Familienverbindungen, persönliche Details und sogar Querverbindungen von Bildern im Web abbilden. 404 Media berichtete zudem von ICEs Nutzung von Data-Brokern für Standortdaten aus Apps, was Haftbefehlsanforderungen umgeht.
Unter der Trump-Administration (2025) hat ICE seine Ressourcen massiv aufgestockt. Im August 2025 allein hat die Behörde über 42.000 Mitarbeiter aus anderen Behörden „ausgeliehen“, um Durchsetzungsoperationen zu intensivieren, wie der Cato-Institut-Experte David J. Bier enthüllte. ICE-Chef Tom Homan betonte kürzlich, dass Raids an Arbeitsplätzen zunehmen, um „illegale Einwanderer“ zu bekämpfen, die angeblich Löhne drücken und faire Wettbewerber unterlaufen. Solche Maßnahmen haben zu Vorfällen geführt, in denen Familien auseinandergerissen und Journalisten wie Mario Guevara deportiert wurden, trotz entlassener Anklagen.
Reaktionen: Datenschutzalarme und politische Debatte
Der WIRED-Bericht hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Die Electronic Privacy Information Center (EPIC) und die American Civil Liberties Union (ACLU) kritisieren das Programm als „bedrohlich für Privatsphäre und Freiheit“. Es ermögliche ICE, Massendaten ohne klare Relevanz zu ihrem Mandat zu sammeln und potenziell auch US-Bürger zu betreffen. „ICEs Versuch, Sentiments im Internet zu bewerten, ist besorgniserregend und Teil einer Geschichte der Massenüberwachung“, sagte Aktivistin Cinthya Rodriguez von Mijente gegenüber The Intercept. Ähnliche Bedenken äußern sich in sozialen Medien: Auf X (Twitter) warnen Nutzer wie @LorraineEvanoff vor einer „dystopischen“ Eskalation, die Kritiker und Aktivisten ins Visier nehmen könnte.
Politisch polarisiert das Thema: Republikaner wie Homan sehen darin notwendige Durchsetzung des Einwanderungsgesetzes, während Demokraten und Bürgerrechtsgruppen eine „Überwachungsgesellschaft“ fürchten. Der New Republic spricht von „dystopischen Niveaus der Überwachung“, die bald auf alle US-Bürger ausgedehnt werden könnten. Auf Plattformen wie Reddit und Hacker News wird debattiert, ob dies der nächste Schritt in einer „Pre-Crime“-Überwachung ist, bei der „kriminelle Indikatoren“ in Posts vorausgesagt werden.
Ausblick: Offene Fragen zur Umsetzung
Während ICEs Pläne ambitioniert sind, bleibt abzuwarten, ob und wie sie umgesetzt werden. Die Integration von KI könnte die Effizienz steigern, birgt aber Risiken von Fehlalarmen und Diskriminierung. Datenschützer fordern Kongressaufsicht und strengere Haftungsregeln. Bislang hat keine Tech-Firma wie Meta oder TikTok auf die Pläne reagiert, doch vergangene Fälle – wie der Rückzug von ICE-Tracking-Apps aus App-Stores unter Druck des Justizministeriums – deuten auf mögliche Widerstände hin.
Dieser Bericht basiert auf Analysen von WIRED, The Register, The New Republic und Beiträgen auf X. Weitere Entwicklungen werden beobachtet.
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