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UnitedHealth in der Krise: Ein Gesundheitsgigant wankt und erschüttert das US-Gesundheitssystem

Die UnitedHealth Group, der größte Krankenversicherer der USA, steht vor einer existenziellen Krise, die nicht nur das Unternehmen selbst, sondern das gesamte US-Gesundheitssystem in Mitleidenschaft zieht. Eine Kette von Skandalen, finanziellen Rückschlägen und operativen Herausforderungen hat das Vertrauen in den Gesundheitskonzern erschüttert und die Schwächen eines privatisierten Gesundheitsmarkts offengelegt. Von einem verheerenden Cyberangriff über Vorwürfe der Medicare-Betrugsmanipulation bis hin zum Mord an einem Top-Manager – die Ereignisse des Jahres 2024/2025 haben UnitedHealth an den Rand des Abgrunds gebracht und die Dringlichkeit von Reformen im US-Gesundheitssystem verdeutlicht. Dieser Bericht beleuchtet die Krise detailliert, liefert Daten und Fakten und analysiert die weitreichenden Folgen.

Der Anfang der Krise: Cyberangriff auf Change Healthcare

Im Februar 2024 wurde Change Healthcare, eine Tochtergesellschaft von UnitedHealth, Opfer eines massiven Cyberangriffs durch die Ransomware-Gruppe „Blackcat“. Die Attacke legte das Abrechnungssystem lahm, das etwa ein Drittel aller medizinischen Zahlungen in den USA verarbeitet, und führte zu einem finanziellen Schaden von schätzungsweise 2,77 Milliarden US-Dollar (vor Steuererleichterungen 2,24 Milliarden US-Dollar). Tausende Arztpraxen und Kliniken konnten keine Zahlungen abrechnen, was zu akuten Liquiditätsproblemen führte. UnitedHealth stellte rund 9 Milliarden US-Dollar an Krediten bereit, um betroffene Anbieter zu unterstützen, doch diese Darlehen lösten neue Konflikte aus. Praxen wie Odom Health & Wellness und die Dillman Clinic in Minnesota klagten, UnitedHealth würde sie unter Druck setzen, die Kredite vorzeitig zurückzuzahlen, während gleichzeitig verspätete Ansprüche von UnitedHealthcare abgelehnt wurden.

Die Klagen werfen UnitedHealth Fahrlässigkeit vor und verweisen auf die tiefe Verflechtung des Konzerns im Gesundheitssystem, die solche weitreichenden Störungen erst ermöglichte. Der Vorfall unterstrich die Verwundbarkeit eines Systems, das stark von wenigen Großkonzernen abhängt, und nährte die Kritik an UnitedHealths aggressiver Akquisitionsstrategie, die Change Healthcare 2019 für 13 Milliarden US-Dollar übernommen hatte.

Finanzielle Turbulenzen: Prognose eingestellt, Aktie im freien Fall

Finanziell geriet UnitedHealth 2025 in schwere Turbulenzen. Im ersten Quartal 2025 meldete das Unternehmen einen Gewinn von 6,3 Milliarden US-Dollar, was im Vergleich zum Vorjahr (1,41 Milliarden US-Dollar Verlust durch den Cyberangriff) eine Erholung darstellte. Doch die Ergebnisse enttäuschten die Erwartungen: Der Umsatz lag mit 109,6 Milliarden US-Dollar rund 2 Milliarden unter den Prognosen, und die bereinigten Gewinne von 7,20 US-Dollar pro Aktie verfehlten die Analystenschätzungen von 7,29 US-Dollar. Der Hauptgrund war ein unerwarteter Anstieg der medizinischen Kosten, insbesondere im Medicare Advantage-Programm, wo die Pflegekosten doppelt so stark stiegen wie geplant. Die sogenannte Medical Loss Ratio, der Anteil der Prämien, der für medizinische Leistungen ausgegeben wird, kletterte auf 84,8 % (2024: 84,3 %) und im vierten Quartal sogar auf 87,6 %, weit über dem Zielwert von etwa 80 %.

Am 17. April 2025 kürzte UnitedHealth seine Gewinnprognose für 2025 drastisch von 29,50–30,00 US-Dollar pro Aktie auf 26,00–26,50 US-Dollar. Nur einen Monat später, am 13. Mai 2025, zog das Unternehmen die Prognose komplett zurück, da die Pflegekosten weiter unkontrollierbar stiegen. Die Aktie verlor daraufhin an einem einzigen Tag über 17 %, und seit April 2025 hat sie rund 50 % ihres Werts eingebüßt, was einem Verlust von etwa 288 Milliarden US-Dollar an Marktkapitalisierung entspricht. Der Kurs fiel auf 295,57 US-Dollar (Stand 23. Mai 2025), den niedrigsten Stand seit April 2020. Diese Entwicklung traf auch Konkurrenten wie Humana (-5,5 %), CVS Health (-2,3 %) und Elevance Health, was die gesamte Versicherungsbranche unter Druck setzte.

Skandale und Ermittlungen: Medicare-Betrug und ethische Vorwürfe

Ein zentraler Aspekt der Krise sind die Vorwürfe, UnitedHealth habe im Medicare-Programm systematisch Diagnosen manipuliert, um höhere Zahlungen vom Staat zu erhalten. Laut Berichten des Wall Street Journal soll das Unternehmen Ärzten, die es über seine Optum-Sparte kontrolliert, Anreize gegeben haben, Patienten schwerere Diagnosen zu stellen, was die Risikobewertung und damit die Erstattungen erhöhte. Das US-Justizministerium leitete daraufhin eine strafrechtliche Untersuchung ein, die im Mai 2025 publik wurde und sich auf mögliche Betrugspraktiken im Medicare Advantage-Programm konzentriert. UnitedHealth wies die Vorwürfe zurück und erklärte, von keiner Untersuchung informiert worden zu sein, doch die Nachricht löste einen weiteren Aktienrutsch von 13 % aus.

Darüber hinaus sorgten Enthüllungen über geheime Bonusprogramme in Pflegeheimen für Empörung. Ehemalige Mitarbeiter berichteten, UnitedHealth habe Pflegeeinrichtungen finanziell belohnt, wenn sie Krankenhausaufenthalte vermieden, selbst wenn diese medizinisch notwendig waren. Klagen wie United States ex rel. Maxwell Ollivant v. Optum und United States ex rel. Gonite v. UnitedHealthcare werfen dem Unternehmen vor, durch solche Praktiken die Versorgungsqualität gefährdet zu haben. UnitedHealth bestreitet dies und verweist auf branchenübliche Qualitätsmaßnahmen, die von der Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) anerkannt seien. Dennoch hat das Justizministerium die Vorwürfe untersucht und festgestellt, dass sie teilweise auf ungenauen Behauptungen beruhen, was die Kläger jedoch nicht entkräftete.

Der Mord an Brian Thompson: Symbol für den Volkszorn

Ein besonders erschütterndes Ereignis war der Mord an Brian Thompson, dem CEO von UnitedHealthcare, am 4. Dezember 2024 vor einem Hotel in Manhattan. Der 27-jährige Luigi Mangione, der nicht Versicherter bei UnitedHealth war, wurde als Täter festgenommen und plädierte auf nicht schuldig. Der Mord, der als gezielter Anschlag galt, löste eine Welle der Empörung aus und wurde zum Symbol für die wachsende Frustration vieler Amerikaner mit dem Gesundheitssystem. In sozialen Medien wurden Mangione Spenden in Höhe von Tausenden Dollar zuteil, und Umfragen zeigten, dass die Mehrheit der Amerikaner Versicherungspraktiken wie Leistungsverweigerungen und hohe Kosten neben dem Täter für Thompsons Tod verantwortlich machte.

Der Vorfall verstärkte die öffentliche Debatte über die Rolle von Versicherern wie UnitedHealth, die als profitorientiert und patientenfeindlich wahrgenommen werden. Aktionäre forderten daraufhin Berichte über die Auswirkungen von Leistungsverweigerungen und Vorabgenehmigungen, die Patienten oft den Zugang zu Behandlungen erschweren. UnitedHealth betonte, dass es 90 % der eingereichten Ansprüche genehmige, doch die Kritik an der Praxis der „Prior Authorization“ und der hohen Eigenkosten blieb laut.

Führungswechsel: Witty geht, Hemsley kehrt zurück

Die Krise kulminierte im Rücktritt von CEO Andrew Witty am 13. Mai 2025, der offiziell „persönliche Gründe“ angab, jedoch von Analysten als erzwungene Entscheidung des Vorstands interpretiert wurde. Witty, der seit 2021 das Unternehmen leitete, hatte UnitedHealth zu einem Umsatz von über 400 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 geführt, doch die jüngsten Rückschläge überschatteten seine Amtszeit. Stephen Hemsley, der von 2006 bis 2017 CEO war, übernahm erneut die Führung und entschuldigte sich bei Investoren und Mitarbeitern für die „enttäuschenden Leistungen“. Hemsley versprach, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen, doch die Skepsis bleibt groß, da die strukturellen Probleme tief verwurzelt sind.

Auswirkungen auf das US-Gesundheitssystem

Die Krise bei UnitedHealth hat das US-Gesundheitssystem an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Mit über 50 Millionen Versicherten, darunter 8 Millionen in Medicare Advantage-Plänen, ist UnitedHealth systemrelevant. Die finanziellen Probleme des Konzerns haben direkte Folgen für Gesundheitsdienstleister, die mit Zahlungsverzögerungen und gestiegenen Kosten kämpfen. Kliniken und Arztpraxen, die bereits durch den Cyberangriff geschwächt wurden, stehen vor der Insolvenz, was die Versorgung in ländlichen Gebieten gefährdet.

Die Vorwürfe der Medicare-Manipulation und der Druck auf Pflegeheime haben die Debatte über die Privatisierung des Gesundheitswesens angeheizt. Medicare Advantage, das von privaten Anbietern wie UnitedHealth verwaltet wird, deckt fast die Hälfte der 65 Millionen Medicare-Berechtigten ab. Kritiker argumentieren, dass die profitorientierte Struktur Anreize für Kostensenkung auf Kosten der Patienten schafft. Die steigenden Pflegekosten, insbesondere für ältere Amerikaner, verdeutlichen die Unterfinanzierung des Systems. Laut der Kaiser Family Foundation beliefen sich die Gesundheitsausgaben in den USA 2023 auf 4,5 Billionen US-Dollar, etwa 17,3 % des BIP, und die alternde Bevölkerung wird diese Zahl weiter treiben.

Die Krise hat auch andere Versicherer wie Humana, CVS Health und Elevance Health in Mitleidenschaft gezogen, da Investoren die gesamte Branche mit Misstrauen betrachten. Die Aktienkurse dieser Unternehmen fielen zwischen 1 und 7 %, was die Ansteckungsgefahr verdeutlicht. Gleichzeitig wächst der Druck auf den Gesetzgeber, Reformen umzusetzen. Vorschläge reichen von einer stärkeren Regulierung der Vorabgenehmigungen bis hin zur Einführung einer öffentlichen Versicherungsoption, die mit privaten Anbietern konkurriert. Doch die politische Spaltung im Kongress macht umfassende Reformen unwahrscheinlich.

Fazit: Ein Wendepunkt für das Gesundheitssystem?

Die Krise bei UnitedHealth ist mehr als ein unternehmensspezifisches Problem – sie ist ein Symptom für die strukturellen Schwächen des US-Gesundheitssystems. Die Kombination aus Cyberangriff, finanziellen Fehlschlägen, ethischen Skandalen und dem Mord an einem Top-Manager hat das Vertrauen in private Krankenversicherer erschüttert. Jährlich geraten Hunderttausende Amerikaner wegen Gesundheitsschulden in die Privatinsolvenz, und die hohen Eigenkosten treiben die Unzufriedenheit weiter an. Ohne tiefgreifende Reformen droht dem System ein dauerhafter Vertrauensverlust, während Patienten und Anbieter mit den Folgen kämpfen.

UnitedHealth steht vor der Herausforderung, sein Geschäftsmodell anzupassen, um steigende Kosten und regulatorischen Druck zu bewältigen. Die Rückkehr von Stephen Hemsley mag kurzfristig Stabilität signalisieren, doch die langfristigen Probleme erfordern radikale Maßnahmen. Für das Gesundheitssystem insgesamt ist die Krise ein Weckruf, die Balance zwischen Profit und Patientenwohl neu zu justieren. Ob dieser Weckruf gehört wird, bleibt abzuwarten.


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