Am 12. Mai 2025 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump eine weitreichende Exekutivanordnung, die eine „Most Favored Nation“ (MFN)-Politik für die Pharmaindustrie einführt. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente in den USA an die niedrigsten Preise anzugleichen, die in anderen vergleichbaren Industrienationen gezahlt werden. Die Politik stellt einen erneuten Versuch dar, die hohen Arzneimittelkosten in den USA zu senken, nachdem ein ähnlicher Vorstoß in Trumps erster Amtszeit 2020 gerichtlich gestoppt wurde. Dieser Artikel beleuchtet die Mechanismen der MFN-Politik, ihre Zielsetzung, die potenziellen Auswirkungen auf die Pharmaindustrie sowie die wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Implikationen.
Hintergrund und Zielsetzung der MFN-Politik
Die USA zahlen für verschreibungspflichtige Medikamente deutlich mehr als andere Industrienationen. Laut einer Studie der Rand Corporation von 2022 waren die Preise für alle Arzneimittel in den USA im Durchschnitt 2,7-mal höher als in anderen wohlhabenden Ländern, bei Markenmedikamenten sogar 3,2-mal höher. Die USA, mit weniger als 5 % der Weltbevölkerung, tragen etwa 75 % der globalen Pharmaindustriegewinne, was auf eine Kombination aus hohen Listenpreisen, einem komplexen System von Zwischenhändlern und fehlender staatlicher Preisregulierung zurückzuführen ist. Während andere Länder wie Kanada, Deutschland oder das Vereinigte Königreich durch staatliche Verhandlungen oder Preisregulierungen niedrigere Kosten erzielen, fehlt in den USA ein vergleichbares System.
Die MFN-Politik soll diese Ungleichheit beseitigen, indem die Preise für bestimmte Medikamente in den USA an die niedrigsten Preise gekoppelt werden, die in anderen vergleichbaren Ländern gezahlt werden. Die Exekutivanordnung vom Mai 2025 zielt auf Medikamente ab, die über Medicare, Medicaid und den kommerziellen Markt vertrieben werden, was einen erheblich größeren Anwendungsbereich als den früheren Ansatz von 2020 darstellt, der sich auf 50 Medikamente in Medicare Part B beschränkte. Trump erklärte, dass die Politik die Arzneimittelpreise um 30 bis 80 % senken und die Gesundheitskosten der Bürger drastisch reduzieren solle. Zusätzlich sollen Einsparungen in Billionenhöhe für die USA erzielt werden.
Mechanismen der MFN-Politik
Die Exekutivanordnung legt mehrere Schritte fest, um die MFN-Politik umzusetzen. Innerhalb von 30 Tagen nach Unterzeichnung soll das Gesundheitsministerium (HHS) in Zusammenarbeit mit der Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS) Preisziele für Pharmazeutika festlegen, die an die niedrigsten Preise in vergleichbaren Industrienationen angepasst sind. Diese Ziele werden den Pharmaunternehmen mitgeteilt, die dann sechs Monate Zeit haben, „maßgebliche Fortschritte“ zu erzielen. Sollten die Unternehmen die Preisziele nicht freiwillig umsetzen, droht das HHS mit regulatorischen Maßnahmen, einschließlich der Einführung von MFN-Preisen durch Gesetzgebung oder anderen „aggressiven Maßnahmen“.
Ein weiterer Bestandteil der Politik ist die Förderung von Direktverkäufen an Verbraucher. Das HHS soll Programme entwickeln, die es Amerikanern ermöglichen, Medikamente direkt von Herstellern zu MFN-Preisen zu kaufen, wodurch Zwischenhändler wie Pharmacy Benefit Managers (PBMs) umgangen werden. PBMs, die Preise im Auftrag von Versicherern verhandeln, werden von der Pharmaindustrie häufig für die hohen Endpreise verantwortlich gemacht.
Darüber hinaus beauftragt die Anordnung das Handelsministerium und den US-Handelsbeauftragten, gegen „unfaire“ ausländische Praktiken vorzugehen, die die Preise in anderen Ländern künstlich niedrig halten und so die USA benachteiligen. Dies könnte Handelsmaßnahmen oder Zölle auf Pharmaexporte umfassen. Trump hat zudem angedeutet, dass Pharmaunternehmen ihre Preise in anderen Ländern anheben könnten, um die MFN-Anforderungen zu erfüllen, was jedoch gegen sein Versprechen verstieße, die Kosten für Amerikaner zu senken.
Auswirkungen auf die Pharmaindustrie
Die Pharmaindustrie hat die MFN-Politik scharf kritisiert. Die Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA), die größte Lobbygruppe der Branche, schätzt, dass die Politik, wenn sie auf Medicaid angewendet wird, die Branche über ein Jahrzehnt hinweg bis zu 1 Billion US-Dollar kosten könnte. Die Branche argumentiert, dass Preissenkungen ihre Gewinne schmälern und die Fähigkeit zur Finanzierung von Forschung und Entwicklung (F&E) einschränken würden. Laut PhRMA investierten ihre Mitgliedsunternehmen 2023 rund 100 Milliarden US-Dollar in F&E, was etwa 20 % ihrer Einnahmen entspricht. Niedrigere Preise in den USA könnten laut Branchenvertretern die Entwicklung neuer Medikamente verlangsamen und die Innovationskraft der Branche gefährden.
Ein weiteres Argument der Industrie ist, dass die MFN-Politik die globalen Marktmechanismen nicht berücksichtigt. Etwa 70 % der weltweiten Pharmaindustriegewinne stammen aus den USA, während andere Märkte wie Europa oder Kanada aufgrund staatlicher Preisregulierungen weniger profitabel sind. Laut Experten der University of Southern California könnten Pharmaunternehmen, die vor der Wahl stehen, ihre Preise in den USA drastisch zu senken oder weniger profitable Auslandsmärkte aufzugeben, Letzteres bevorzugen. Dies könnte dazu führen, dass Amerikaner weiterhin hohe Preise zahlen, während die globalen Gewinne der Unternehmen schrumpfen, was langfristig die Innovation beeinträchtigen könnte.
Trotz der Kritik stiegen die Aktienkurse mehrerer US-Pharmaunternehmen, darunter Merck (+4 %), Pfizer (+2 %) und Amgen (+2 %), am Tag der Ankündigung. Analysten wie Evan Seigerman von BMO Capital Markets stuften die Anordnung als „überschaubares Risiko“ ein, da die Umsetzung komplex und rechtlich anfällig sei. JPMorgan-Analysten betonten, dass Pharmaunternehmen zunächst versuchen könnten, Preise in Ländern der Europäischen Union anzuheben, bevor sie US-Preise senken, was die Wirksamkeit der Politik einschränken könnte.
Rechtliche und praktische Herausforderungen
Die MFN-Politik steht vor erheblichen rechtlichen und praktischen Hürden. Während Trumps erster Amtszeit wurde ein ähnlicher Vorstoß im November 2020 durch einen Bundesrichter gestoppt, da die Verwaltung die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren für die Regelsetzung nicht eingehalten hatte. Die Biden-Regierung ließ die Politik daraufhin fallen. Experten wie Lawrence Gostin, Professor für Gesundheitsrecht an der Georgetown University, gehen davon aus, dass die neue Anordnung ebenfalls gerichtlich angefochten wird, insbesondere wegen ihrer weitreichenden Vorschläge wie Direktverkäufe oder Importe aus dem Ausland, die möglicherweise die gesetzlichen Grenzen überschreiten.
Die praktische Umsetzung ist ebenso komplex. Die Festlegung von MFN-Preisen erfordert genaue Daten über internationale Arzneimittelpreise, die oft schwer zugänglich sind und von Faktoren wie Rabatten, Verhandlungen und nationalen Gesundheitsbudgets abhängen. Zudem bleibt unklar, welche Medikamente betroffen sein werden. Trump erwähnte vage „fat shot drugs“ (vermutlich Anspielungen auf Gewichtsverlustmedikamente wie Ozempic), aber konkrete Listen fehlen. Die Verhandlungen mit Pharmaunternehmen, die innerhalb von 30 Tagen beginnen sollen, werden laut CMS-Administrator Mehmet Oz „nachdenkliche Interaktionen“ erfordern, doch die Branche zeigt wenig Bereitschaft zur Kooperation.
Reaktionen und gesellschaftliche Implikationen
Die Reaktionen auf die MFN-Politik sind gespalten. Gesundheitspolitische Experten wie Leigh Purvis vom AARP Public Policy Institute begrüßen den Ansatz, da er auf die weitverbreitete Frustration über hohe Arzneimittelpreise reagiert. AARP, die sich für ältere Amerikaner einsetzt, betonte, dass viele Senioren lebenswichtige Medikamente aufgrund der Kosten auslassen. Die Politik könnte insbesondere für Medicare-Begünstigte, die oft hohe Zuzahlungen für in Arztpraxen verabreichte Medikamente leisten müssen, Erleichterung bringen.
Die Pharmaindustrie und ihre Vertreter wie PhRMA und die Biotechnology Innovation Organization (BIO) warnen hingegen vor negativen Folgen. BIO-Präsident John F. Crowley bezeichnete die Politik als Bedrohung für die nationale Sicherheit, da sie die biotechnologische Innovation schwächen und die Abhängigkeit von Ländern wie China erhöhen könnte. Die Healthcare Distribution Alliance (HDA) äußerte Bedenken, dass die Politik den Zugang zu Medikamenten für Anbieter und Patienten einschränken und die Stabilität der Lieferkette gefährden könnte.
Wirtschaftliche und internationale Dimension
Die MFN-Politik hat auch eine internationale Dimension. Trump betonte, dass andere Länder „ihren fairen Anteil“ an den F&E-Kosten der Pharmaindustrie tragen sollten. Die Anordnung fordert Maßnahmen gegen ausländische Praktiken, die US-Preise in die Höhe treiben, was auf mögliche Handelskonflikte hindeutet. Länder mit staatlich regulierten Gesundheitssystemen wie Kanada oder Deutschland verhandeln Preise innerhalb ihrer Budgetgrenzen, was laut Experten wie Gostin nicht als „unfair“ eingestuft werden kann. Dennoch könnten US-Handelsmaßnahmen oder Zölle auf Pharmaexporte Spannungen mit Handelspartnern auslösen.
Wirtschaftlich gesehen könnte die Politik die Dynamik des globalen Pharmamarktes verändern. Sollten Pharmaunternehmen ihre Preise in anderen Ländern anheben, könnten Patienten in diesen Ländern höhere Kosten tragen müssen. Alternativ könnten Unternehmen bestimmte Märkte verlassen, was den Zugang zu Medikamenten in weniger profitablen Regionen einschränken würde. In den USA könnten Preissenkungen kurzfristig die Gesundheitskosten senken, aber langfristig die Innovationskraft der Branche beeinträchtigen, da die hohen US-Preise traditionell die globale F&E finanzieren.
Fazit
Donald Trumps „Most Favored Nation“-Politik ist ein ambitionierter Versuch, die hohen Arzneimittelpreise in den USA zu senken, indem sie an die niedrigsten Preise in vergleichbaren Ländern gekoppelt werden. Mit einem potenziellen Einsparpotenzial von 30 bis 80 % und einer Ausweitung auf Medicare, Medicaid und den kommerziellen Markt geht die Politik über frühere Ansätze hinaus. Dennoch steht sie vor erheblichen Herausforderungen, darunter rechtliche Anfechtungen, praktische Umsetzungsprobleme und die vehemente Opposition der Pharmaindustrie. Während Verbraucher und Gesundheitsexperten die Aussicht auf niedrigere Preise begrüßen, warnen Branchenvertreter vor Einschnitten in die Innovation und wirtschaftliche Nachteile. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Politik ihre ehrgeizigen Ziele erreichen kann oder erneut an rechtlichen und praktischen Hürden scheitert.
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