In Bayern sorgt das Borna-Virus (BoDV-1) immer wieder für Schlagzeilen, zuletzt durch zwei bestätigte Infektionen im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm, von denen eine tödlich endete. Die Nachricht, dass ein Mann an den Folgen einer Infektion mit diesem seltenen, aber nahezu immer schwerwiegenden Virus gestorben ist, hat Besorgnis ausgelöst. Eine zweite infizierte Person befindet sich in Behandlung, während Experten intensiv daran arbeiten, die Infektionswege zu klären. Das Borna-Virus, ursprünglich als Tierseuche bekannt, stellt eine ernsthafte Bedrohung für den Menschen dar, da es in den meisten Fällen zu einer tödlichen Gehirnentzündung führt. Dieser Bericht beleuchtet die jüngsten Fälle, die virologischen Hintergründe des Erregers und die Methoden zu seiner Nachweisführung.
Hintergrund: Das Borna-Virus und seine Geschichte
Das Borna Disease Virus 1 (BoDV-1), benannt nach der Stadt Borna in Sachsen, wo es erstmals im 18. Jahrhundert bei Pferden beschrieben wurde, gehört zur Familie der Bornaviridae. Es ist ein negativsträngiges RNA-Virus, das die sogenannte Borna’sche Krankheit auslöst, eine neurologische Erkrankung, die vor allem Pferde, Schafe und andere Säugetiere befällt. Seit mehr als 250 Jahren ist die Krankheit als Tierseuche bekannt, doch erst 2018 wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass BoDV-1 auch Menschen infizieren kann. Seitdem wurden in Deutschland, insbesondere in Bayern, mehr als 40 Fälle von menschlichen Infektionen dokumentiert, die meisten mit tödlichem Ausgang.
Bayern gilt als Kerngebiet des Virus, insbesondere die nördlichen und östlichen Regionen des Freistaats. Das natürliche Reservoir des Virus ist die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon), ein kleines Säugetier, das das Virus über Speichel, Urin und Kot ausscheidet, ohne selbst Symptome zu zeigen. Neben der Feldspitzmaus wurden auch andere Tiere wie Igel als potenzielle Wirte identifiziert, wobei die Übertragung auf den Menschen noch nicht vollständig geklärt ist.
Die Übertragung auf den Menschen erfolgt vermutlich durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren oder deren Ausscheidungen, etwa durch Schmierinfektionen über kontaminierte Erde, das Einatmen von virushaltigem Staub oder durch Katzen, die infizierte Spitzmäuse ins Haus bringen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch gilt als extrem unwahrscheinlich. Besonders in ländlichen Gebieten, wo der Kontakt zu Feldspitzmäusen häufiger ist, wurden Infektionen beobachtet. Eine Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) ergab, dass sieben von acht tödlich verlaufenen Fällen Katzenbesitzer betrafen, was die Vermutung nahelegt, dass Katzen eine Rolle bei der Übertragung spielen könnten.
Virologische Grundlagen: Das Genom des Borna-Virus
BoDV-1 ist ein enveloped, single-stranded RNA-Virus mit einer Genomlänge von etwa 8,9 Kilobasen. Es codiert sechs Hauptproteine, darunter das Nukleoprotein (N), das Phosphoprotein (P) und die RNA-abhängige RNA-Polymerase (L), die für die Virusreplikation essenziell sind. Ein besonderes Merkmal des Virus ist seine Fähigkeit, im Zellkern der Wirtszellen zu replizieren, was für RNA-Viren ungewöhnlich ist. Diese nukleäre Replikation ermöglicht eine persistente Infektion, bei der das Virus über lange Zeit im Wirt verbleiben kann, ohne sofort schwere Symptome auszulösen.
Die genetische Analyse hat gezeigt, dass menschliche BoDV-1-Stämme eine hohe Übereinstimmung mit Stämmen aufweisen, die in Feldspitzmäusen und Nutztieren aus derselben Region isoliert wurden. Dies unterstreicht die zoonotische Natur des Virus. Frühere Kontroversen, bei denen vermutete Nachweise in menschlichen Proben als Labor-Kontaminationen abgetan wurden, konnten durch moderne Sequenzierungsverfahren wie Next-Generation Sequencing (NGS) widerlegt werden. Diese Technologien haben die Zuverlässigkeit der Diagnostik erheblich verbessert.
Symptome und Verlauf der Infektion
Eine Infektion mit BoDV-1 beim Menschen führt in der Regel zu einer schweren Enzephalitis (Gehirnentzündung), die nach einer Inkubationszeit von etwa drei bis vier Monaten auftritt. Die ersten Symptome sind unspezifisch und umfassen Fieber, Kopfschmerzen und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Im Verlauf entwickeln sich neurologische Symptome wie Wesensveränderungen, kognitive Verlangsamung, Myoklonien (Muskelzuckungen), Ataxie, epileptische Anfälle und schließlich Koma. Die Erkrankung ist in der überwiegenden Mehrheit der Fälle tödlich, oft innerhalb ein bis vier Monaten nach Symptombeginn. Überlebende leiden häufig an schwerwiegenden neurologischen Folgeschäden, wie etwa Sehverlust durch Schädigung des Sehnervs.
Die Pathogenese der Erkrankung ist immunvermittelt: BoDV-1 ist nicht zytolytisch, das heißt, es zerstört die infizierten Zellen nicht direkt. Stattdessen führt die Immunantwort des Körpers, insbesondere eine ausgeprägte lymphozytäre Entzündung im Gehirn, zu schweren Gewebeschäden. Histopathologisch zeigt sich ein perivaskuläres lymphozytäres Infiltrat, das einer Vaskulitis ähneln kann, sowie Aktivierungen von Mikroglia und Astrozyten.
Nachweismethoden des Borna-Virus
Die Diagnostik von BoDV-1-Infektionen ist komplex, da der Nachweis des Virus im Blut oder Liquor oft schwierig ist. Dennoch haben moderne molekulare und serologische Methoden die Zuverlässigkeit der Diagnostik verbessert. Zu den wichtigsten Nachweismethoden gehören:
- Antikörpernachweis: Der sensitivste Ansatz ist der Nachweis von BoDV-1-spezifischen Antikörpern im Serum mittels indirekter Immunfluoreszenz (IIFT), Immunoblot oder ELISA. Antikörper im Liquor treten später auf und sind weniger konzentriert. Dieser Nachweis ist besonders bei akuten Fällen effektiv, da hohe Antikörperkonzentrationen im Blut der Patienten nachweisbar sind.
- Virus-RNA-Nachweis: Die reverse Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) wird verwendet, um virale RNA im Liquor oder Gehirngewebe nachzuweisen. Allerdings ist die Viruslast im Liquor oft niedrig, weshalb der Nachweis in frühen Krankheitsphasen oder in Gehirnbiopsien erfolgreicher ist. Next-Generation Sequencing (NGS) ermöglicht zudem die genaue Zuordnung des Virusstamms zu geografischen Clustern.
- Immunhistochemie und In-situ-Hybridisierung: Diese Verfahren dienen dem direkten Nachweis von Virusantigenen oder -RNA im Gehirngewebe verstorbener Patienten. Sie sind besonders nützlich, um eine Infektion zweifelsfrei zu bestätigen, etwa durch Nachweis von Virusbestandteilen in entzündeten Gehirnregionen.
- Retrospektive Untersuchung: Archiviertes, formalinfixiertes Gehirngewebe kann mittels NGS oder In-situ-Hybridisierung untersucht werden, um BoDV-1-Infektionen bei ungeklärten Enzephalitis-Fällen nachzuweisen.
Die Diagnostik ist am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg zentralisiert, das als Konsiliarlabor für Bornaviren fungiert. Seit 2020 besteht eine Meldepflicht für den direkten Erregernachweis, was die Erfassung von Fällen erleichtert hat.
Jüngste Fälle in Bayern und Präventionsmaßnahmen
Die jüngsten Fälle in Pfaffenhofen unterstreichen die Gefährdung in Bayern, wo seit 1996 eine mittlere zweistellige Zahl an Infektionen registriert wurde. Seit Einführung der Meldepflicht 2020 wurden jährlich bis zu sechs Fälle gemeldet, über 90 Prozent davon aus Bayern. Besonders alarmierend war ein Fall von 2018, bei dem drei Organempfänger eines infizierten Spenders erkrankten; zwei starben, der dritte verlor sein Sehvermögen.
Da es keine Impfung gegen BoDV-1 gibt, konzentrieren sich Präventionsmaßnahmen auf die Vermeidung von Kontakt mit Feldspitzmäusen. Das RKI und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) empfehlen, in Endemiegebieten Handschuhe zu tragen, tote Spitzmäuse nicht ohne Schutzhandschuhe zu berühren und Nahrungsquellen wie Katzenfutter unzugänglich zu lagern, um Spitzmäuse fernzuhalten. Bei der Entsorgung toter Tiere wird das Tragen einer FFP2-Maske empfohlen.
Forschungsperspektiven und Ausblick
Die BOSPEK-Studie in Maitenbeth, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, untersucht derzeit das klinische Spektrum und die Übertragungswege von BoDV-1. Ziel ist es, die Infektionswege besser zu verstehen und präventive Maßnahmen zu verbessern. Die Forschung steht jedoch vor Herausforderungen, da die Seltenheit der Infektionen groß angelegte Studien erschwert. Dennoch hat die Einführung moderner Diagnostikmethoden wie NGS die Erkenntnisse über BoDV-1 erheblich erweitert.
Das Borna-Virus bleibt eine seltene, aber ernsthafte Bedrohung, insbesondere in Bayern. Die jüngsten Fälle verdeutlichen die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über die Risiken aufzuklären und die Forschung voranzutreiben, um frühzeitigere Diagnosen und möglicherweise Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Bis dahin bleibt Vorsicht im Umgang mit potenziellen Überträgern wie der Feldspitzmaus die beste Verteidigung gegen diesen tödlichen Erreger.
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