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Sensation: Quantenbewegung in Molekülen erstmals direkt gemessen

Es ist eine Sensation: Forschende am European XFEL in Schenefeld bei Hamburg haben einen bahnbrechenden Erfolg in der Quantenphysik erzielt: Erstmals konnten sie die quantenmechanischen Nullpunktsfluktuationen in einem komplexen Molekül direkt messen. Die Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Science“, machen die unsichtbaren Bewegungen der Quantenwelt sichtbar und eröffnen neue Perspektiven für die Molekülforschung.

Nach der Heisenbergschen Unschärferelation können Atome und Moleküle selbst im niedrigsten Energiezustand, dem sogenannten Grundzustand, nicht vollständig zur Ruhe kommen. Diese quantenmechanischen Nullpunktsfluktuationen sorgen für ein ständiges „Zittern“ der Atome. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Rebecca Boll (European XFEL), Ludger Inhester (DESY) und Till Jahnke (Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg) hat nun die kollektiven Quantenbewegungen im 2-Iodpyridin-Molekül, bestehend aus elf Atomen, nachgewiesen.

Für die Messungen nutzte das Team die Methode des Coulomb-Explosion-Imaging (CEI). Dabei wurden ultrakurze, hochintensive Röntgenlaserpulse des European XFEL eingesetzt, um den Atomen des Moleküls Elektronen zu entreißen. Die dadurch positiv geladenen Atomrümpfe stoßen sich gegenseitig ab und fliegen explosionsartig auseinander. Aus den Flugrichtungen und -geschwindigkeiten der Fragmente konnten die Forschenden die ursprüngliche Anordnung der Atome sowie deren quantenmechanische Schwankungen rekonstruieren.

Das untersuchte 2-Iodpyridin-Molekül, ein Pyridin-Ring mit einem Kohlenstoffring, einem Stickstoffatom und einem Iod-Atom, erscheint in der klassischen Physik völlig planar. Dennoch wiesen die Messungen Bewegungen von Atomen außerhalb dieser Ebene nach, die auf quantenmechanische Fluktuationen zurückzuführen sind. Diese Beobachtungen stimmten mit detaillierten Simulationen überein, die Methoden des maschinellen Lernens einbezogen. Besonders bemerkenswert ist, dass die Atome nicht unabhängig voneinander schwingen, sondern in abgestimmten Mustern bewegen.

Visualisierung eines Moleküls mit quantenmechanischen Fluktuationen das durch einen blauen Laserstrahl beleuchtet wird
Visualisierung kollektiver Quantenfluktuationen eines komplexen 2 Iodopyridin Moleküls | Quelle Tobias Wüstefeld | Copyright © European XFEL

Die Daten wurden mit dem COLTRIMS-Reaktionsmikroskop an der SQS-Experimentierstation des European XFEL aufgezeichnet, das eine präzise räumliche Zuordnung der Fragmente ermöglicht. Herausforderungen wie unvollständige Fragmentnachweise wurden durch ein neu entwickeltes statistisches Analyseverfahren überwunden, das die vollständige Impulsverteilung des Moleküls rekonstruieren konnte. Die hohe Intensität der Röntgenpulse sorgte zudem für eine einheitliche Zerlegung der Moleküle, was die Analyse erleichterte.

Die neue Methode des Coulomb-Explosion-Imaging bietet im Vergleich zu etablierten Verfahren wie der Röntgenkristallographie den Vorteil, nicht nur gemittelte Werte, sondern detaillierte Einblicke in die Dynamik einzelner Moleküle zu liefern. Zukünftig könnten damit größere Moleküle untersucht und sogar zeitaufgelöste Aufnahmen ihrer Bewegungen mit einer Auflösung von weniger als einer Femtosekunde erstellt werden. Ein Folgeprojekt wird im Rahmen des Exzellenzclusters „CUI: Advanced Imaging of Matter“ der Universität Hamburg gefördert, in Kooperation mit DESY, dem Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie und dem European XFEL.

Diese Arbeit demonstriert eindrucksvoll, wie modernste Lasertechnologie, Quantenmechanik und fortschrittliche Datenanalyse die Erforschung komplexer molekularer Systeme vorantreiben können.

Original Paper:

Imaging collective quantum fluctuations of the structure of a complex molecule | Science

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