Die juristische Auseinandersetzung um das ehemalige Leipziger Kopfzentrum zieht weitere Kreise. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat die Zahl der Beschuldigten im Zusammenhang mit mutmaßlichem Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen auf 14 Personen ansteigen lassen. Im Zentrum der Vorwürfe steht weiterhin der ehemalige Geschäftsführer und HNO-Spezialist Prof. Gero Strauß, gegen den nun zusätzliche Anklagen wegen Betrugs, Untreue und Unterschlagung laufen. Der finanzielle Schaden wird auf mehr als 1,6 Millionen Euro beziffert, was eine Haftstrafe für den 54-Jährigen wahrscheinlicher macht. Dieser Bericht beleuchtet die jüngsten Entwicklungen in einem Skandal, der seit Jahren die Medizinszene in Ostdeutschland erschüttert und Patientenvertrauen nachhaltig beschädigt.
Erweiterung der Ermittlungen: Von sechs auf 14 Beschuldigte
Die Untersuchungen, die im Oktober 2022 mit einer landesweiten Razzia einhergingen, haben sich in den vergangenen Monaten intensiviert. Damals durchsuchten rund 300 Beamte in mehreren Bundesländern Praxisräume, Geschäftsbüros und Privatwohnungen der Kopfzentrum-Gruppe. Im Fokus standen zunächst Vorwürfe des Abrechnungsbetrugs, bei dem medizinische Leistungen in Rechnung gestellt wurden, die entweder nicht erbracht oder medizinisch nicht indiziert waren. Ergänzt wurden diese durch Anklagen wegen Körperverletzung durch fehlerhafte Operationen sowie Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz. Die Behörden stellten dabei umfangreiches Material sicher, darunter Geschäftsunterlagen, Mobiltelefone und Computer, die nun schrittweise ausgewertet werden.
Die Staatsanwaltschaft hat kürzlich mitgeteilt, dass der Kreis der Verdächtigen von anfänglich sechs auf 14 Personen gewachsen ist. Darunter befinden sich neben Ärzten auch kaufmännische Mitarbeiter, die in die Abrechnungsprozesse involviert gewesen sein sollen. Die Erweiterung resultiert aus neuen Erkenntnissen aus den beschlagnahmten Daten, die auf ein systematisches Vorgehen hindeuten. Experten aus dem Gesundheitsrecht sehen hierin ein klares Signal, dass die Behörden entschlossen sind, das gesamte Netzwerk der Gruppe zu entwirren, um weitere Schäden für die gesetzlichen Krankenkassen zu verhindern.
Neue Vorwürfe gegen Prof. Strauß: Betrug und Untreue im Visier
Besonders hart trifft es Prof. Gero Strauß, den langjährigen Leiter der Kopfzentrum-Gruppe, die bundesweit HNO-Praxen und Kliniken betrieb. Gegen ihn sind nun gerichtsanhängig Verfahren wegen Betrugs in sieben Fällen und Untreue in 57 Fällen. Die Vorwürfe drehen sich um die Abrechnung fiktiver Eingriffe, wie Nasenoperationen, die Patienten später als nicht durchgeführt oder unnötig einstuften. Der entstandene Schaden belief sich allein in diesen Fällen auf über 1,6 Millionen Euro, was die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen als erheblichen Missbrauch öffentlicher Mittel bewertet.
Strauß, der nach dem Zerfall der Gruppe nach Berlin umgesiedelt ist und dort wieder als HNO-Arzt praktiziert, hat bereits mehrmals mit der Justiz zu tun gehabt. Er verbrachte insgesamt 142 Tage in Untersuchungshaft – von November bis Dezember 2023 sowie von Februar bis Juni 2024 –, unter anderem wegen Fluchtgefahr. Ein laufendes Verfahren am Amtsgericht Leipzig wegen Unterschlagung platze kürzlich erneut, doch vor dem Landgericht Leipzig steht eine mündliche Verhandlung an, die seine berufliche Zukunft endgültig gefährden könnte. Patientenberichte, die von groben Behandlungsfehlern sprechen, wie bei Operationen an Kindern, unterstreichen die Schwere der Anschuldigungen und haben zu Schmerzensgeldklagen geführt.
Hintergrund: Aufdeckung durch Investigativjournalismus und Konsequenzen für die Gruppe
Der Skandal hat seine Wurzeln in Berichten des MDR Investigativ-Teams, das seit März 2021 wiederholt über Missstände im Kopfzentrum berichtete. Die Recherchen enthüllten nicht nur Abrechnungstricks, sondern auch Fälle von unnötigen Eingriffen, die zu bleibenden Schäden bei Patienten führten. Die öffentliche Resonanz war enorm: Kollegen aus dem Fachbereich distanzierten sich, und Betroffene meldeten sich zu Dutzenden. Dies mündete in die Großrazzia von 2022, die das Ende der Gruppe einleitete.
Finanziell kollabierte das Unternehmen rasch: Im April 2023 beantragte es Insolvenz, und Ende April 2024 stellte es den Betrieb ein. Die Acqua-Klinik und mehrere Praxen in Leipzig und Gera wurden größtenteils vom Uniklinikum Leipzig übernommen, um die Patientenversorgung zu sichern. Die 50-köpfige Belegschaft erhielt Kündigungen, doch einige Standorte konnten als Medizinisches Versorgungszentrum gerettet werden. Die Ermittlungen dauern an, und es wird erwartet, dass weitere Anklagen folgen, sobald die Auswertung der Beweismittel abgeschlossen ist.
Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf systemische Schwächen im deutschen Gesundheitswesen, wo Abrechnungspraktiken und Qualitätskontrollen enger verknüpft werden müssen. Für Patienten bedeutet er vor allem eines: Ein Verlust des Vertrauens in spezialisierte HNO-Zentren, der Jahre brauchen wird, um wiederhergestellt zu werden.
Quellen im Text: Die Berichterstattung basiert auf Meldungen des MDR zu den erweiterten Ermittlungen und Vorwürfen gegen Prof. Strauß, der Leipziger Volkszeitung zu Haft und Prozessen sowie früheren Razzien und Insolvenzfolgen.
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