Basel, 23. Juni 2025 – Die Schweizer Pharma-Riesen Roche und Novartis liefern sich einen intensiven Wettbewerb um die Vorherrschaft in der globalen Pharmaindustrie. Der Fokus liegt auf ihren Forschungs- und Entwicklungspipelines sowie den finanziellen Kennzahlen, die ihre Marktposition bestimmen. Dieser Bericht analysiert die Pipelines beider Unternehmen, ihre wichtigsten Wirkstoffe, Umsatzentwicklungen und strategischen Schwerpunkte, basierend auf den neuesten verfügbaren Daten.
Finanzielle Performance: Umsätze und Marktanteile
Roche erzielte 2024 einen Gruppenumsatz von 60,5 Milliarden CHF, ein Plus von 7 % bei konstanten Wechselkursen (CER). Die Pharma-Division trug 46,4 Milliarden CHF bei (+8 % CER), angetrieben von neuen Medikamenten wie Vabysmo (Augenerkrankungen, 2,8 Milliarden CHF), Phesgo (Brustkrebs, 1,5 Milliarden CHF), Ocrevus (Multiple Sklerose, 7,0 Milliarden CHF) und Hemlibra (Hämo-philie, 4,4 Milliarden CHF). Die Diagnostik-Division wuchs um 4 % auf 14,1 Milliarden CHF, mit einem Anstieg von 8 % im Kerngeschäft (ohne COVID-19-Produkte). Der Kerngewinn pro Aktie stieg um 7 %, wobei Roche für 2025 ein Umsatzwachstum im mittleren einstelligen Bereich und ein Kerngewinnwachstum im hohen einstelligen Bereich prognostiziert.
Novartis verzeichnete 2024 einen Umsatz von 48,2 Milliarden USD (+9 % CER), mit starkem Wachstum bei Entresto (Herzinsuffizienz, 6,7 Milliarden USD, +29 %), Kisqali (Brustkrebs, 2,5 Milliarden USD, +70 %) und Kesimpta (Multiple Sklerose, 2,1 Milliarden USD, +80 %). Cosentyx (Immunologie) stagnierte mit 5,2 Milliarden USD (+4 %) aufgrund von Markt-sättigung. Der operative Gewinn wuchs um 14 %, getrieben durch höhere Margen und Kosteneinsparungen. Novartis erwartet für 2025 ein Umsatzwachstum von 5–7 % und eine Verbesserung der Kernmarge auf über 40 %.
Beide Unternehmen stehen unter Druck durch den drohenden Patentablauf wichtiger Blockbuster. Bei Roche sind Rituxan, Avastin und Herceptin (zusammen ~18 Milliarden CHF Umsatz) betroffen, bei Novartis Entresto (Patentverlust ab 2026). Dennoch bleibt Novartis an der Börse attraktiver: Die Aktie stieg seit 2022 um 5 %, während Roche 20 % verlor, was auf Forschungsrückschläge (z. B. Alzheimer) und geringere Wachstumsaussichten zurückzuführen ist.
Pipelines: Schwerpunkte und Schlüsselprojekte
Beide Konzerne investieren massiv in Forschung und Entwicklung (R&D). Roche gab 2024 rund 14 Milliarden CHF (23 % des Umsatzes) für R&D aus, Novartis etwa 10 Milliarden USD (21 %). Ihre Pipelines unterscheiden sich in Umfang und Fokus, wobei Roche 190+ Projekte und Novartis 136 klinische Programme nach einer Reduktion um 10 % im Jahr 2023 betreibt.
Roche: Onkologie, Adipositas und Diagnostik
Roche konzentriert sich auf Onkologie, kardiovaskuläre/metabolische Erkrankungen, Neurologie und Diagnostik. Die Pipeline umfasst 119 Forschungsprojekte und 61 neue molekulare Entitäten (NMEs), darunter:
- Onkologie:
- Inavolisib (PI3Kα-Inhibitor): In Phase III für Brustkrebs und andere solide Tumore. Zeigt Potenzial als „best-in-class“-Therapie mit Umsatzprognosen von über 2 Milliarden CHF bis 2030.
- Giredestrant (selektiver Östrogenrezeptor-Degrader): In Phase III für Brustkrebs. Umsatzpotenzial: ~1,5 Milliarden CHF.
- Itovebi (Brustkrebs): 2024 zugelassen, zielt auf schwer behandelbare HER2-negative Tumore. Erwarteter Umsatz: 1 Milliarde CHF bis 2028.
- PiaSky (Bluterkrankung PNH): 2024 zugelassen, ein C5-Inhibitor mit Umsatzpotenzial von 800 Millionen CHF.
- Kooperation mit Poseida Therapeutics (2024): Fokus auf Zelltherapien für Onkologie und Autoimmunerkrankungen, Investition: 750 Millionen USD.
- Adipositas/Metabolisches:
Nach der Übernahme von Carmot Therapeutics (2,7 Milliarden USD, 2023) entwickelt Roche drei GLP-1-Rezeptor-Agonisten: - CT-996 (oral): In Phase I, zielt auf Adipositas und Typ-2-Diabetes.
- CT-388 (injektierbar): In Phase II, mögliche Kombination mit Petrelintide (Kooperation mit Zealand Pharma, 1,4 Milliarden USD Vorabzahlung).
- Umsatzpotenzial der Adipositas-Pipeline: 5–7 Milliarden CHF bis 2035, abhängig von Markteintritt gegenüber Novo Nordisk und Eli Lilly.
- Petrelintide (Kooperation mit Zealand Pharma): Phase II, ein Amylin-Analogon für Gewichtsmanagement.
- Neurologie:
- Ocrevus (Multiple Sklerose): Subkutane Formulierung 2024 zugelassen, erleichtert die Anwendung. Umsatzprognose: 8 Milliarden CHF bis 2027.
- Rückschläge bei Alzheimer (Gantenerumab) und Huntington (Tominersen) haben die Pipeline geschwächt.
- Diagnostik:
- Kontinuierliche Glukoseüberwachung und automatisierte Massenspektrometrie-Systeme, zugelassen 2024. Umsatzpotenzial: 2 Milliarden CHF bis 2030.
Roche hat 2024 16 weniger transformative Projekte eingestellt, um sich auf „blockbusterfähige“ Kandidaten zu konzentrieren. Analysten sehen die Adipositas-Pipeline als risikoreich, da Roche spät in diesen Markt eingestiegen ist.
Novartis: Breite Diversifikation und Gentherapien
Novartis fokussiert auf fünf Kernbereiche – kardiovaskuläre Erkrankungen, Immunologie, Neurowissenschaften, solide Tumore und Hämatologie – sowie explorative Therapien (TAX). Nach der Pipeline-Reduktion 2023 konzentriert sich Novartis auf 15 pivotalen Phase-III-Studien mit Readouts bis 2027.
- Kardiovaskulär:
- Iptacopan (LNP023): Oraler C3-Inhibitor für seltene Nierenerkrankungen (IgA-Nephropathie) und PNH. Phase-III-Daten 2024 positiv, Zulassung 2025 erwartet. Umsatzpotenzial: >2 Milliarden USD.
- Inclisiran (Leqvio): LDL-Cholesterin-Senker, 2023 erweiterte FDA-Zulassung für primäre Prävention. Umsatz 2024: 600 Millionen USD, Prognose 2027: 1,5 Milliarden USD.
- Onkologie/Hämatologie:
- Pluvicto (Radioligand-Therapie): Für Prostatakrebs, Phase III für frühere Stadien. Umsatz 2024: 1,1 Milliarden USD, Prognose 2027: >2 Milliarden USD.
- Lutathera: Phase-III-Studie (NETTER-2) für GEP-NETs als Erstlinien-Therapie. Umsatzpotenzial: 1 Milliarde USD.
- Scemblix (CML): STAMP-Inhibitor, Umsatz 2024: 500 Millionen USD, Prognose 2027: 1,2 Milliarden USD.
- Kisqali: Phase-III-Daten zeigen führende Überlebensraten bei metastatischem Brustkrebs. Prognose 2027: 6 Milliarden USD.
- Immunologie:
- Remibrutinib (LOU064): BTK-Inhibitor für chronische spontane Urtikaria (Phase III, REMIX-1/2) und Multiple Sklerose (Phase III, REMODEL-1/2). Readouts 2025, Umsatzpotenzial: >2 Milliarden USD.
- Cosentyx: Neue Indikationen für Autoimmunerkrankungen (z. B. Hidradenitis suppurativa) in Prüfung. Umsatzprognose 2027: 6 Milliarden USD.
- Neurowissenschaften:
- Kesimpta: Führend in der MS-Therapie, teilt sich den Markt mit Roches Ocrevus. Umsatzprognose 2027: 3 Milliarden USD.
- Globale Gesundheit:
- KAE609 (Cipargamin): Malariatherapie in Entwicklung, Phase II. Kein signifikanter Umsatz erwartet, aber strategisch für den Ruf.
Novartis hat durch die Akquisition von Chinook Therapeutics (2023) seine Pipeline für Nierenerkrankungen gestärkt und setzt auf Radioligand-Therapien als Wachstumstreiber. Die Reduktion der Onkologie-Pipeline (10 Moleküle eingestellt) zeigt eine klare Priorisierung auf profitable Bereiche.
Strategische Unterschiede und Herausforderungen
- Roche:
- Stärken: Marktführer in Onkologie und Diagnostik, starke Integration von Genentech-Forschung. Neue Adipositas-Pipeline könnte langfristig Marktanteile sichern.
- Schwächen: Später Einstieg in Adipositas, Rückschläge in Neurologie (Alzheimer), hohe Abhängigkeit von bestehenden Blockbustern. Die Größe der Pipeline (190+ Projekte) verteilt Ressourcen breit, was die Effizienz mindern könnte.
- Strategie: Fokus auf „best-in-class“-Therapien und KI-gestützte Forschung (z. B. Innovation Center Boston).
- Novartis:
- Stärken: Breite Diversifikation, starke Gentherapie- und Radioligand-Plattform. Effiziente Pipeline durch Fokussierung auf 136 Projekte mit hohem Umsatzpotenzial.
- Schwächen: Verlust von Onkologie-Projekten und Effizienzprobleme durch frühere Übernahmen. Entresto-Patentablauf 2026 wird Umsatz belasten.
- Strategie: Priorisierung von fünf Kernbereichen, Akquisitionen für Nischenmärkte (z. B. Nierenerkrankungen) und Kosteneinsparungen durch Sandoz-Abspaltung.
Politische und regulatorische Risiken
Beide Unternehmen stehen vor Unsicherheiten durch die US-Politik. Trumps Pläne zur Senkung der Medikamentenpreise um 30–80 % könnten Margen drücken, insbesondere in den USA, wo Roche 47 % und Novartis 45 % ihres Umsatzes erzielen. Zolldrohung für Importe sind weniger kritisch, da beide stark in den USA produzieren (Roche: 50 Milliarden USD Investitionen, Novartis: 23 Milliarden USD bis 2030).
Fazit: Wer hat die Nase vorn?
Roche dominiert in Onkologie und Diagnostik, hat aber mit einem späteren Einstieg in Adipositas und Forschungsrückschlägen zu kämpfen. Die Pipeline ist umfangreich, aber weniger fokussiert, mit einem Umsatzpotenzial von 12+ Blockbustern (>1 Milliarde CHF). Novartis punktet mit einer schlankeren, diversifizierten Pipeline und starkem Wachstum in Gentherapien, steht aber vor Patentherausforderungen. Finanziell ist Novartis 2025 stabiler positioniert, während Roche langfristiges Potenzial in Adipositas sieht.
Investoren bevorzugen derzeit Novartis für kurzfristiges Wachstum (Prognose: 5–7 % Umsatzplus), während Roche mit seiner Adipositas-Wette und Diagnostik-Stärke langfristig punkten könnte. Der Wettbewerb bleibt eng, und die nächsten Phase-III-Readouts 2025/26 werden entscheidend sein.
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