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Die massive Gefährdung der deutschen Diagnostikindustrie durch chinesische Konkurrenz: Dumping, Regulierungen und globale Abhängigkeiten

Die deutsche In-vitro-Diagnostik (IVD)-Industrie, ein Eckpfeiler der Medizintechnik mit einem Marktvolumen von rund 4,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 und einem prognostizierten Wachstum auf 5,1 Milliarden Euro bis 2028, steht unter enormem Druck durch den aufstrebenden chinesischen Sektor. Chinas IVD-Markt, der 2023 bei 5,5 Milliarden US-Dollar lag und bis 2030 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 6,4 Prozent auf über 28 Milliarden US-Dollar ansteigen soll, exportiert zunehmend billige Produkte in die EU, was zu Preiskriegen, Marktrückgängen und Abhängigkeitsrisiken führt. Experten warnen vor einem „zweiten China-Schock“ ähnlich dem in der Auto- und Chemiebranche: Ohne Gegenmaßnahmen drohen Jobverluste, Innovationshemmnisse und eine Erosion der Versorgungssicherheit in der Pandemie- und Chroniker-Diagnostik.

Branchenkontext: Stärke Deutschlands vs. Chinas Aufholjagd

Deutschland ist in der IVD-Branche ein globaler Leader, mit Unternehmen wie Siemens Healthineers, Roche Diagnostics und Abbott Laboratories, die hochpräzise Reagenzien, Analysatoren und molekulare Tests für Krebs, Infektionskrankheiten und Diabetes produzieren. Der Sektor beschäftigt Tausende und trägt zu 15 Prozent des EU-IVD-Markts bei, getrieben von einer alternden Bevölkerung und steigender Nachfrage nach personalisierter Medizin. Die EU-In-vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR), seit 2022 schrittweise umgesetzt, setzt hohe Standards für Qualität und Transparenz, was deutsche Firmen begünstigt, aber auch bürokratische Hürden schafft.

China hingegen hat sich seit den 1980er Jahren von einem Importeur zu einem Exportgiganten entwickelt. Unter der „Made in China 2025“-Strategie, die bis 2025 die Abhängigkeit von ausländischer Technologie um 70 Prozent reduzieren soll, investiert Peking massiv in IVD: Der Markt wächst doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt (CAGR 16,9 Prozent bis 2027), mit Fokus auf Immunoassays, molekulare Diagnostik und Point-of-Care-Tests (POCT). Chinesische Konzerne wie Mindray, Bio-Rad und CATL dominieren nun 70 Prozent des heimischen Reagenzienmarkts und erobern globale Anteile durch Skaleneffekte und Subventionen.

Ursachen der Gefährdung: Dumping, Marktzugang und Spionagevorwürfe

Der Kern der Bedrohung liegt im asymmetrischen Wettbewerb. Chinesische IVD-Produkte sind bis zu 50 Prozent günstiger, oft durch staatliche Förderungen und Dumpingpreise, die EU-Unternehmen unterbieten. Im ersten Halbjahr 2025 sanken die EU-Importe aus China um 25 Prozent im Wert, während das Volumen um 15 Prozent stieg – ein klassischer Dumping-Effekt, der deutsche Hersteller wie die in Bayern und Hessen ansässigen zu Preissenkungen zwingt. Die EU-Kommission leitete im April 2024 eine Untersuchung ein, ob China europäischen Firmen den Zugang zu seinem 18-Milliarden-Dollar-Markt verwehrt, indem es lokale Produkte bevorzugt und ausländische durch Zertifizierungsbarrieren behindert. Betroffen sind vor allem Frankreich, Deutschland, Italien und die Niederlande, wo Tausende KMU leiden.

Zusätzlich belasten regulatorische Unterschiede: Während die IVDR strenge Nachweispflichten fordert, gelten in China laxere Standards, was chinesische Exporte begünstigt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor chinesischer Wirtschaftsspionage, die unter MIC 2025 IVD-Technologien aus Deutschland abgreift – etwa durch Cyberangriffe auf Hochtechnologie-Firmen. Eine Studie des Mercator Institute for China Studies (MERICS) schätzt, dass chinesische Firmen bis 2030 20 Prozent des EU-IVD-Markts erobern könnten, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden.

Folgen: Wirtschaftliche Verluste und Sicherheitsrisiken

Die Auswirkungen sind bereits spürbar: Deutsche IVD-Unternehmen melden einen Umsatzrückgang von 5–10 Prozent durch chinesische Konkurrenz, mit Jobkürzungen bei Zulieferern. In der Pandemie-Diagnostik, wo China 2020–2023 80 Prozent der globalen Tests lieferte, hat sich eine Abhängigkeit etabliert, die Versorgungslücken schafft – etwa bei PCR-Tests für Infektionskrankheiten. Der Verband der Diagnostika-Industrie (VDGH) prognostiziert für 2025 ein schwieriges Jahr mit Preisdruck und regulatorischen Hürden, die die Innovationskraft bremsen: Neun von zehn Firmen erwarten bessere Chancen im Ausland als zu Hause.

Langfristig gefährdet dies Deutschlands Rolle als Exportnation: Der globale IVD-Markt wächst bis 2030 auf 157 Milliarden US-Dollar, doch Chinas Exportoffensive könnte deutsche Anteile von 15 Prozent auf unter 10 Prozent drücken. Besonders vulnerabel sind KMU, die 70 Prozent der Branche stellen und Schwierigkeiten haben, mit chinesischen Skalenvorteilen mitzuhalten.

Politische Reaktionen und Ausblick: EU-Antidumping und Diversifizierung als Rettung?

Die EU reagiert mit Schutzinstrumenten: Neben der laufenden Untersuchung plant die Kommission Zölle auf chinesische IVD-Importe und eine Stärkung der „Open Strategic Autonomy“. In Deutschland fordert Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Koalitionsrahmen unter Kanzler Merz (CDU) Investitionen in 500 Millionen Euro für IVD-Forschung, um Unabhängigkeit zu sichern. Der VDGH appelliert an Berlin, die IVDR umzusetzen, ohne die Branche zu überlasten, und Kooperationen mit Asien zu diversifizieren.

Experten wie die Bertelsmann-Stiftung sehen Chancen in Partnerschaften: Deutsche Firmen könnten chinesische Märkte nutzen, solange der EU-Zugang gesichert ist. Bis 2030 könnte der Sektor stabilisieren, wenn Subventionen für grüne IVD (z. B. CO2-neutrale Reagenzien) fließen. Ohne rasche Action droht jedoch ein „industrieller Herzschlagverlust“: Die Diagnostik, essenziell für die alternde Gesellschaft, könnte von einem Stärke zu einer Schwachstelle werden. Die nächste EU-Handelskonferenz im Oktober 2025 wird klären, ob der „China-Schock“ abgefedert werden kann.


Quellen: VDGH, EU-Kommission, MERICS, MarketsandMarkets, Grand View Research, Verfassungsschutz, Handelsblatt


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