Deutschland galt lange als vielseitiger Hoffnungsträger der europäischen Biotechnologie. Doch neue Statistiken und Analysen zeigen: Die Bundesrepublik verliert 2025 in mehreren Schlüsselbereichen den internationalen Anschluss – trotz punktueller Fortschritte in Innovation und Forschungsintensität durch einzelne Akteure wie BioNTech. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber vor allem in Strukturdefiziten, fehlendem Kapital und regulatorischen Verzögerungen zu suchen. Ein datenjournalistischer Blick offenbart das Ausmaß dieser Entwicklung.
Während die Zahl der Biotech-Unternehmen in Deutschland mit 823 im Jahr 2024 einen Höchststand erreicht, wachsen Umsatz und Beschäftigung nicht im Gleichschritt mit den globalen Vorreitern. Im Gegenteil: Nach den Boomjahren der Pandemie brach der Gesamtumsatz der deutschen Branche im Jahr 2024 um acht Prozent auf 11 Milliarden Euro ein (2023: 12,7 Milliarden Euro). Gleichzeitig sank die Zahl der Beschäftigten um fünf Prozent auf 56.093, nachdem sie 2023 noch bei über 59.000 lag. Besonders auffällig ist die extreme Abhängigkeit vom Unternehmen BioNTech – zieht man dessen Sondereffekte ab, zeigt sich, dass große Teile der Branche bestenfalls stagnieren[1][2][3][4][5][6].
International ist die Unterfinanzierung das sichtbarste Symptom des Rückstands: Im Jahr 2024 wurden in Deutschland insgesamt 1,9 Milliarden Euro in Biotech investiert, ein Plus von 78 Prozent gegenüber 2023 (1,1 Milliarden Euro). Das klingt beeindruckend, relativiert sich aber sofort im Vergleich zum Ausland: In den USA flossen im selben Zeitraum 16,7 Milliarden Euro in Risikokapital für die Branche, in Großbritannien 1,6 Milliarden Euro (was dort 0,05 Prozent des BIP entspricht, in Deutschland dagegen nur 0,02 Prozent, trotz Rekordanstieg). Besonders dramatisch: Im ersten Quartal 2025 brach das Finanzierungsvolumen in Deutschland gegenüber dem Vorjahresquartal um 78 Prozent ein – von 591 Millionen Euro (Q1/2024) auf lediglich 130 Millionen Euro. Wichtige Nachfolge- und Wachstumsfinanzierungen werden zu 87,5 Prozent von ausländischen Investoren bereitgestellt; der heimische Kapitalmarkt bleibt für Biotech somit klar unzureichend[4][2][1][5].
Parallel dazu zeigen sich strukturelle Schwächen in Forschung und Entwicklung. Zwar lässt sich die Zahl der laufenden klinischen Studien für neue Medikamente durchaus sehen – 174 im Jahr 2024, mit einem starken Fokus auf Onkologie (102 Studien) und steigenden Zahlen in den Phasen II und III. Aber der Zeitaufwand für Zulassungen und Genehmigungen bleibt ein gravierendes Problem: Während in Großbritannien und den USA die Genehmigungsdauer auf international führendem Niveau liegt, dauert es in Deutschland im Schnitt doppelt so lang, bis eine klinische Studie starten kann. Das verzögert die Markteinführung und vertreibt internationale Forschungsvorhaben ins Ausland[2][7].
Auch bei der Talentbindung wirkt Deutschland wenig anziehend: Internationale Akademiker und erfahrene Biotech-Manager weichen in der Regel attraktiveren Standorten aus, an denen Gehälter, Lifestyle und Karriereaussichten besser vereinbar sind. Folge: Hochtalentierte Forscher wandern in die Schweiz, nach Israel, Dänemark, Großbritannien oder in die USA ab, was den deutschen Sektor langfristig weiter schwächt. Selbst universitäre Ausgründungen bleiben selten und erreichen Vermarktungsreife nur in Ausnahmefällen[1][2].
Der Versuch, die eigene Wettbewerbsfähigkeit durch Forschungsausgaben zu kompensieren, ändert wenig an der Dynamik: Zwar hat die chemisch-pharmazeutische Industrie ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2024 auf schätzungsweise 16 Milliarden Euro gesteigert, Tendenz steigend. Doch der Output direkter Innovationen – also marktreife Produkte oder globale Exportschlager – kann mit der internationalen Konkurrenz nicht mithalten. Die Innovationsdynamik bleibt laut aktuellen Branchenreports vergleichsweise schwach, der Markterfolg verläuft langsam[8][2][1].
Das Biotechnologie-Ökosystem Deutschlands bleibt zum Start der zweiten Hälfte der 2020er Jahre also durch folgende Kennzahlen geprägt:
- Umsatzrückgang 2024 um 8 Prozent, Beschäftigungsrückgang um 5 Prozent[2][1][5];
- Rekordzahl von Neugründungen (823 Unternehmen), aber Einbruch der Frühphasenfinanzierung ab 2025 um 78 Prozent[2][5];
- Kapitalintensität von nur 0,02 Prozent des BIP in Biotech-Investitionen (USA ca. 0,12 Prozent, Schweiz 0,08 Prozent)[2][5];
- Mehr als 87 Prozent des VC für Wachstumsfirmen stammt aus dem Ausland[2];
- Zeit bis zum Beginn einer klinischen Studie liegt bei über dem Doppelten von UK/USA[2][7];
- Großteil der Exits/Börsengänge erfolgt im Ausland, was lokale Wertschöpfungsketten schwächt[1][2].
Fazit: Deutschland kann als Biotech-Nation mit großer wissenschaftlicher Basis und individuellem Unternehmergeist nicht verhindern, dass sich der Abstand zu den globalen Leaders weiter vergrößert. Nötig wären eine massive Beschleunigung von regulatorischen Verfahren, neue Anreizstrukturen für Wagniskapital und nachhaltige Talentförderung. Ansonsten droht das Land – abseits medial gefeierter Einzelereignisse wie der Impfstoffentwicklung während der Pandemie – auf Jahre hinaus in den Schatten der Biotechnologie-Welt zu geraten[2][1][4][5][6][3][8][7].
Quellen:
[1] Die deutsche Biotech-Branche und der globale Wettlauf https://www.ey.com/de_de/insights/health/die-deutsche-biotech-branche-und-der-globale-wettlauf
[2] Licht und Schatten bei deutscher Biotechnologie https://transkript.de/artikel/2025/licht-und-schatten-bei-deutscher-biotechnologie/
[3] Die deutsche Biotechnologie- Branche https://biotechnologie.de/wp-content/uploads/2025/03/BTKB_2024_Statistik.pdf
[4] Biotech: Mehr Frühphasenfinanzierung, weniger Umsatz https://hct.online/biotech-mehr-fruehphasenfinanzierung-weniger-umsatz/
[5] Deutsche Biotech-Branche: Innovations https://www.ey.com/de_de/newsroom/2025/05/ey-analyse-biotech-report-germany-2025
[6] Deutsche Biotech-Branche: Innovations https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/pm/deutsche-biotech-branche-innovations-und-gruendungsaktivitaet-steigen-umsatz-und-beschaeftigung-sinken
[7] EY-Report 2025 zieht ein positives Resümee für die … https://www.goingpublic.de/life-sciences/ey-report-2024-zieht-ein-positives-resuemee-fuer-die-deutsche-biotechnologie/
[8] Innovationsstandort Deutschland https://www.vci.de/die-branche/zahlen-berichte/daten-fakten-forschung-entwicklung-bildung-innovationsstandort-deutschland-im-nationalen-und-internationalen-vergleich.jsp
[9] Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2025 https://www.vfa.de/download/biotech-report-2025.pdf
[10] Trendumfrage 2024/2025: Mehr Jobs und Investitionen in der https://www.biodeutschland.org/de/nachrichten/trendumfrage-2024-2025-mehr-jobs-und-investitionen-in-der-deutschen-biotechnologie.html
[11] Patentmarkt stabil – Neue Medikamente 2025 https://www.vfa.de/de/gesundheit-versorgung/gesundheitspolitik/patentmarkt-stabil
[12] Biotech-Finanzierung bricht ein – Investoren in Warteposition https://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/pharmaindustrie-biotech-finanzierung-bricht-ein-investoren-in-warteposition/100123092.html
[13] Im Fokus: Biotech-Aktien: Dynamische Biotech-Zeiten voraus https://www.wallstreet-online.de/nachricht/19935866-fokus-biotech-aktien-dynamische-biotech-zeiten-voraus
[14] und Pharmakonzerne in Deutschland nach Umsatz 2025 … https://de.statista.com/statistik/daten/studie/751812/umfrage/umsatz-der-top-10-biotech-und-pharmakonzerne-in-deutschland/
[15] BIO Deutschland überreicht Handlungsempfehlungen zur … https://www.vc-magazin.de/blog/2025/07/11/bio-deutschland-ueberreicht-handlungsempfehlungen-zur-finanzierung-der-biotech-branche/
[16] REPORT: BIOTECH https://research.handelsblatt.com/wp-content/uploads/2024/06/Report_Biotech.pdf
[17] Veröffentlichung der Branchenkennzahlen – Rückgang … https://www.biodeutschland.org/de/nachrichten/veroeffentlichung-der-branchenkennzahlen-rueckgang-beim-umsatz-wachstum-bei-den-forschungsausgaben.html
[18] Deutschlands wichtigste Wette auf die Zukunft … https://biorn.org/deutschlands-wichtigste-wette-auf-die-zukunft-handelsblatt-erschienen-am-07-02-2025/
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