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Chips: China kontrolliert Deutschlands Gesundheitsbranche

Deutschlands Gesundheitsbranche steht vor einer sicherheitspolitisch brisanten Schwachstelle: der massiven Abhängigkeit von chinesischen Mikrochips und Halbleitern, die für Diagnosegeräte, Medizintechnik und digitale Gesundheitslösungen unverzichtbar sind. Gleichzeitig zeigt sich, dass selbst kritische pharmazeutische Grundstoffe, insbesondere bei Antibiotika, in überwältigendem Maße aus der Volksrepublik bezogen werden. Diese doppelte Abhängigkeit von China – technologisch und pharmazeutisch – gefährdet die Funktionsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems und könnte im Krisenfall zum Kollaps führen [1][2].

China kontrolliert die Chips und somit Deutschlands Industrie Auch die Gesundheitsbranche ist betroffen Credits Unsplash

Systemische Abhängigkeit durch Nexperia

Eine neue Erhebung des Wiener Start-ups Prewave ergab, dass 86 Prozent der europäischen Medizintechnikunternehmen Chips des Herstellers Nexperia beziehen – eines Unternehmens, das formal in den Niederlanden sitzt, aber vollständig im Besitz des chinesischen Wingtech-Konzerns steht [1]. Diese Chips steuern in Deutschland u. a. digitale Blutanalysegeräte, Infusionspumpen, MRT-Scannereinheiten und Beatmungssysteme. China hat im Oktober 2025 die Ausfuhr dieser Bauteile blockiert, nachdem die niederländische Regierung aus Sicherheitsgründen die Kontrolle über den europäischen Betrieb übernommen hatte. Daraus folgt ein gefährlicher Dominoeffekt: Weil Halbleiter und Steuerungseinheiten auch in Labor- und Diagnostiksystemen fest integriert sind, drohen selbst in hochkritischen Versorgungszweigen Stillstände.

Nach Angaben der Analyse von Prewave betrifft die Abhängigkeit von chinesischen Chips sämtliche großen Branchen – mit Spitzenwerten von 95 Prozent im Maschinenbau und 86 Prozent in der Medizintechnik. In der Praxis bedeutet das, dass Kliniken, Labore und Forschungseinrichtungen selbst dann nicht unabhängig handeln können, wenn sie europäische Markenprodukte einsetzen, denn deren Steuerungselektronik stammt häufig indirekt aus chinesischer Fertigung [1].


Auswirkungen auf Diagnostik und Patientenversorgung

Die medizinische Diagnostik ist einer der technologieintensivsten Sektoren des Gesundheitswesens. Automatisierte Blutbildanalysatoren, Molekularlaborsysteme und Point-of-Care-Geräte basieren auf mikroelektronischen Komponenten, die Datenverarbeitung, Sensorsteuerung und Kommunikation ermöglichen. Fällt die Versorgung mit diesen Spezialchips aus, könnten Routineuntersuchungen in Krankenhäusern binnen Wochen zum Engpass werden. Hersteller wie Siemens Healthineers, Roche Diagnostics oder Sysmex sind auf langlebige, zertifizierte Zulieferketten angewiesen, deren Neuzulassung im Falle eines Lieferstopps Monate beansprucht.

Branchenvertreter warnen, dass jeder Lieferstopp von Halbleitern binnen weniger Wochen zu Ausfällen bei Reparaturen, Wartungen und Ersatzteillieferungen führen kann. So werden Steuerungschips nicht nur in neuen Geräten verbaut, sondern auch als Ersatzteile für alte Generationen benötigt. Fällt die Versorgung aus, drohen Ausfälle in bildgebender Diagnostik, Geräteausfällen in Intensivstationen oder Verzögerungen bei Laboruntersuchungen [1].


Eine geopolitische Eskalation

Die Zuspitzung im Herbst 2025 wurde durch Chinas Exportblockade für Nexperia-Chips ausgelöst. Peking reagierte damit auf die Entscheidung Den Haags, das Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu stellen, um den Abfluss von Know-how und technologischen Daten zu verhindern. Damit wurde erstmals ein EU-Staat Ziel einer offenen wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahme im Halbleitersektor. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche warnte, dass deutsche Firmen „erheblich betroffen“ seien und die Bundesregierung „im engen Kontakt mit der chinesischen Regierung“ stehe [1].

Die unmittelbare Folge: Auch die Gesundheitsbranche spürt die Auswirkungen eines Handelskonflikts, der ursprünglich mit der Automobilindustrie begann. Während elektronische Steuerungen für Fahrzeuge entlang alternativer Lieferketten teilweise ersetzt werden können, gilt das für medizinische Geräte nur eingeschränkt. Sicherheitszertifizierungen und medizinprodukterechtliche Zulassungen verhindern eine kurzfristige Substitution.


Parallelen zur Medikamentenabhängigkeit

Parallel zur technologischen Verwundbarkeit verdeutlichen neue Studien, dass Deutschland auch bei pharmakologischen Wirkstoffen in ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis geraten ist. Laut einer Studie des Pharmaverbands Pro Generika sind über ein Drittel aller versorgungsrelevanten Medikamente – darunter Antibiotika, Schmerz- und Diabetesmittel – unmittelbar von chinesischen Vorprodukten abhängig. Für 20 der 56 wichtigsten Wirkstoffe würde ein chinesischer Lieferstopp binnen Wochen zu massiven Versorgungsengpässen führen [2].

Besonders problematisch: Die Abhängigkeit betrifft nicht nur den Rohstoffimport, sondern die gesamte Wirkstoffherstellung, die Europa weitgehend ausgelagert hat. Seit dem Jahr 2000 sank der Anteil in Europa produzierter Arzneiwirkstoffe von 60 Prozent auf knapp 30 Prozent, während Asien – vor allem China und Indien – mehr als 70 Prozent der globalen Wirkstoffproduktion liefert [2].


Strategische Kontrolle als politisches Druckmittel

China verfolgt eine konsequente industriepolitische Strategie, die im Rahmen des Programms „Made in China 2025“ zentrale Technologien wie Halbleiter, Medizintechnik und Biopharmazeutika gezielt unter nationale Kontrolle bringen soll. Die systematische Subventionierung dieser Industrien und der parallele Aufbau globaler Marktanteile führen dazu, dass europäische Lieferketten immer stärker von chinesischem Einfluss abhängig werden.

Westliche Thinktanks wie das Institut der deutschen Wirtschaft und das European Union Institute for Security Studies warnen inzwischen, dass Peking seine Position in pharmazeutischen Lieferketten als außenpolitisches Druckmittel nutzen könnte. Die strategische Motivation ähnelt der früheren Exportkontrolle seltener Erden: erst Marktdominanz, dann politische Konditionalität [2].


Verwundbare Strukturen durch Kostendruck und Bürokratie

Die Ursachen für die Abhängigkeit liegen jedoch nicht allein im globalen Wettbewerb, sondern auch in hausgemachten Strukturproblemen. Jahrzehntelanger Kostendruck durch Festbetragsregelungen und rigide Preisgesetzgebung im Arzneimittelmarkt führten zur Abwanderung europäischer Hersteller. Parallel verschob sich die Wertschöpfungskette in der Medizintechnik zunehmend nach Asien, da dort staatlich subventionierte Produktionskapazitäten mit niedrigen Umweltstandards arbeiteten.

Auch in der Mikroelektronik hat die Politik versäumt, europäische Fertigungsstandorte wettbewerbsfähig zu halten. Der europäische Chip Act läuft zwar seit 2023, doch seine Förderwirkung bleibt unzureichend. Während die USA mit dem CHIPS and Science Act 52 Milliarden US-Dollar investieren, liegen die tatsächlichen EU-Zusagen bislang bei rund 43 Milliarden Euro – zu wenig, um eine eigenständige Produktionsgrundlage in Europa aufzubauen. Deutsche Halbleiterprojekte wie Intel Magdeburg oder Infineon Dresden werden frühestens ab 2027 voll produktiv sein [1].


Folgen für Innovation und nationale Sicherheit

Die Abhängigkeit bedroht nicht nur Lieferketten, sondern bremst Innovation. Forschungseinrichtungen, die auf spezialisierte Elektronikmodule angewiesen sind, können Projekte nicht fortsetzen, wenn Bauteile fehlen oder Lizenzrechte aus geopolitischen Motiven entzogen werden. Darüber hinaus wird die digitale Transformation im Gesundheitssektor – etwa Telemedizin, Smart Diagnostics oder KI-gestützte Laboranalytik – massiv verzögert, wenn sicherheitszertifizierte Chips nicht verfügbar sind.

Sicherheitsexperten bewerten dies zunehmend als Risiko für die nationale Resilienz. In Notlagen könnte Peking gezielt Exportkontrollen auf medizinische Elektronik anwenden, um politischen Druck auszuüben – ähnlich wie bei seltenen Erden oder Vorprodukten für Photovoltaiksysteme [1][2].


Forderungen nach industrieller Gegenstrategie

Wirtschaftsvertreter fordern inzwischen von der Bundesregierung eine Politik, die strategische Souveränität in den Bereichen Gesundheitswirtschaft und Mikrotechnologie wiederherstellt. Dazu gehören:

  • Aufbau redundanter Lieferketten in Europa mit Fokus auf medizinische Halbleiterproduktion.
  • Massive Förderung heimischer API- und Diagnostikfertigungen, um Produktionskapazitäten zurückzuholen.
  • Beschleunigte Zulassungsverfahren für Ersatzkomponenten, um im Krisenfall schneller reagieren zu können.
  • Europäische Beschaffungskonsortien für strategische Rohstoffe, ähnlich dem Gasbeschaffungsmechanismus 2022.
  • Verpflichtende Risikoanalysen in Lieferketten für Krankenhäuser und Diagnostikunternehmen.

Diese Forderungen verdeutlichen, dass technologische Souveränität nicht länger eine wirtschaftspolitische Option, sondern eine sicherheitspolitische Notwendigkeit ist [1][2].


Politische Dimension und Zukunftsperspektive

Die aktuelle Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz steht vor der Herausforderung, ein Gesundheitssystem neu zu sichern, das auf globalisierte Lieferketten gebaut war. Im Koalitionsvertrag wurde bereits eine „nationale Souveränitätsstrategie Gesundheit“ angekündigt, die Produktion von Arzneien, Chemikalien und Elektronikkomponenten in Europa fördern soll. Doch Experten bewerten die bisherigen Maßnahmen als zu spät und zu fragmentiert.

Währenddessen investiert China weiter in den Ausbau seiner Produktionslinien für medizinische Mikrochips und digitale Diagnosesysteme. Die AIEFM-Konferenz 2024 in Dresden stellte fest, dass Medizintechnik-Chips als nächster Wachstumssektor nach der Automobilindustrie gelten. Mit Hochintegration, KI-Fähigkeit und Miniaturisierung besetzt China zunehmend Marktanteile, die langfristig kaum noch einzuholen sein werden. Die deutsche Gesundheitswirtschaft droht damit erneut, nur Abnehmerin fremder Hochtechnologie zu bleiben.


Fazit

Die Abhängigkeit der deutschen Gesundheitsbranche von chinesischen Chips und pharmazeutischen Vorprodukten ist kein theoretisches Risiko mehr, sondern ein realer geopolitischer Faktor – mit potenziell katastrophalen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Medizinische Elektronik und Diagnostiksysteme benötigen Halbleiter aus einer Lieferkette, die de facto in chinesischer Hand liegt. Gleichzeitig kontrolliert China wesentliche Wirkstoffkomponenten für Medikamente, die Millionen Deutsche täglich benötigen. Beide Abhängigkeiten zusammengenommen zeichnen das Bild eines Gesundheitssystems, das technologische Souveränität gegen kurzfristige Kostenvorteile eingetauscht hat.

Falls Europa nicht binnen weniger Jahre massive Produktionskapazitäten in Mikroelektronik, Biopharma und Medtech aufbaut, könnte die Gesundheitsversorgung im Krisenfall zum geopolitischen Faustpfand werden – mit unabsehbaren Folgen für Patientensicherheit, Volkswirtschaft und gesellschaftliche Stabilität [1][2].

Quellen:
[1] Nexperia: Chinas Chipblockade alarmiert Wirtschaft und … https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/nexperia-chinas-chipblockade-alarmiert-wirtschaft-und-bundesregierung/100166859.html
[2] Deutschlands gefährliche Medikamenten-Abhängigkeit https://www.kettner-edelmetalle.de/news/deutschlands-gefahrliche-medikamenten-abhangigkeit-wie-china-unsere-gesundheitsversorgung-als-waffe-nutzen-konnte-20-10-2025
[3] Deutschlands fatale Abhängigkeit von China https://www.tagesspiegel.de/politik/chip-alarm-unternehmen-mussen-unabhangiger-von-china-werden-14639738.html
[4] Streit mit China Reiche: Konflikt um Nexperia noch nicht … https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/nexperia-chip-reiche-volkswagen-china-100.html
[5] Neue Chipkrise wegen China-USA-Streit: VW bereitet … https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-mercedes-bmw-produktionsstopp-nexperia-chip-usa-china-li.3328696
[6] Halbleitermangel bringt Industrie und Regierung in … https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/halbleitermangel-bringt-industrie-und-regierung-in-zugzwang-110744265.html
[7] Effekte der chinesischen Subventionspolitik auf Deutschland https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Au%C3%9Fenwirtschaft/2021/20230112_vbw_Prognos_Studie_Subventionen-China.pdf
[8] China-Abhängigkeit bei Medikamentenversorgung … https://afdbundestag.de/china-abhaengigkeit-bei-medikamentenversorgung-reduzieren/
[9] »Rising as Hell«: Der Bedarf nach Medizin-Chips steigt … https://www.elektroniknet.de/medizintechnik/medtech-komponenten/rising-as-hell-der-bedarf-nach-medizin-chips-steigt-rasant.221519.html
[10] Mikroelektronik – Trendanalyse bis 2025 https://www.zvei.org/fileadmin/user_upload/Presse_und_Medien/Publikationen/2021/Juni/Mikroelektronik-Trendanalyse_bis_2025/Mikroelektronik-Trendanalyse_2021_Web.pdf
[11] Regierung kündigt Maßnahmen gegen Chip-Abhängigkeit vom Ausland an https://www.n-tv.de/wirtschaft/Regierung-kuendigt-Massnahmen-gegen-Chip-Abhaengigkeit-vom-Ausland-an-article26118007.html
[12] CDU-Außenpolitiker Röttgen kritisiert Abhängigkeit von … https://www.deutschlandfunk.de/cdu-aussenpolitiker-roettgen-kritisiert-abhaengigkeit-von-china-bei-halbleitern-102.html
[13] Hightech Agenda Deutschland https://dserver.bundestag.de/btd/21/011/2101100.pdf
[14] Wirtschafts-Institut schlägt Alarm wegen Medikamenten https://www.merkur.de/wirtschaft/wirtschafts-institut-schlaegt-alarm-wegen-medikamenten-deutschland-massiv-abhaengig-von-china-93996689.html
[15] Branchenanalyse Medizintechnik. Ein … https://www.boeckler.de/fpdf/HBS-008898/p_fofoe_WP_341_2024.pdf
[16] Kauft China systematisch Schlüsseltechnologien auf? https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/MT_Made_in_China_2025.pdf
[17] Deutschlands Abhängigkeit von China: Pekings Würgegriff … https://www.tagesspiegel.de/politik/deutschlands-abhangigkeit-von-china-pekings-wurgegriff-wird-fur-die-steuerzahler-in-jedem-fall-teuer-14658833.html
[18] Trumps Zölle: Gefahr für die Medizintechnik in Europa und … https://www.elektroniknet.de/medizintechnik/systeme-anwendungen/trumps-zoelle-gefahr-fuer-die-medizintechnik-in-europa-und-den-usa.224748.html
[19] Der China-Schock ist da: Problematische Entwicklung des … https://www.iwkoeln.de/studien/juergen-matthes-problematische-entwicklung-des-aussenhandels-mit-china-in-2025.html
[20] Importseitiges De-Risking von China im Jahr 2024 https://www.iwkoeln.de/studien/juergen-matthes-importseitiges-de-risking-von-china-im-jahr-2024.html


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