Systematische Reviews sind eine zentrale Säule evidenzbasierter Entscheidungen im Gesundheitswesen, doch ihre explosionsartige Vermehrung und oft mangelhafte Qualität bedrohen diesen Status. Mitglieder des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (EbM-Netzwerk) kritisieren in einem Beitrag in der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ) diese Entwicklung und fordern ein Umdenken: Statt Massenproduktion sollten weniger, aber methodisch hochwertige Reviews priorisiert werden. Der frei zugängliche Artikel analysiert Ursachen, schlägt Lösungen vor und richtet einen Aufruf zum Handeln an alle Beteiligten.
Die Anzahl systematischer Reviews wächst rasant, häufig mit überlappenden Fragestellungen und erheblichen methodischen Defiziten. Dies mindert ihre Glaubwürdigkeit und führt zu Fehlinterpretationen in Wissenschaft, klinischer Praxis und Gesundheitspolitik. Während das Problem international intensiv diskutiert wird, bleibt das Bewusstsein im deutschsprachigen Raum vergleichsweise gering. Die Autorengruppe aus dem EbM-Netzwerk will diese Lücke schließen und die Debatte anstoßen.
Als Hauptursachen für Qualitätsmängel nennen die Experten unzureichende methodische Expertise bei Autoren, fehlende Koordination bei der Auswahl von Themen sowie mangelhafte Prüfverfahren durch Gutachter und Herausgeber. Solche Schwächen führen dazu, dass Reviews nicht die Robustheit erreichen, die für verlässliche Entscheidungen erforderlich ist. Redundante Arbeiten binden zudem Ressourcen, die für originäre Forschung fehlen.
Der Beitrag bleibt nicht bei der Problemdiagnose stehen, sondern skizziert konkrete Verbesserungsvorschläge. Dazu gehören eine strengere Priorisierung relevanter und ungelöster Fragestellungen, höhere methodische Standards, transparente Registrierung geplanter Reviews sowie verbesserte Schulungen und Qualitätskontrollen. Ziel ist es, die Vertrauenswürdigkeit wiederherzustellen und Reviews zu einer soliden Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen zu machen.
Der Appell richtet sich an alle am Prozess Beteiligten: Autoren, Gutachter, Journalherausgeber, Forschungsförderer, Fachgesellschaften und Nutzer in Politik und Versorgung. Besonders Zeitschriften und Förderinstitutionen sollen Qualität vor Quantität stellen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Entscheidungsträger im Gesundheitswesen profitieren direkt von hochwertigen Reviews und haben ein Interesse daran, Standards zu stärken.
Der Artikel ist bewusst auf Deutsch verfasst und open access publiziert, um eine breite Diskussion im deutschsprachigen Raum zu ermöglichen. Das EbM-Netzwerk sieht in koordinierter Anstrengung aller Akteure die Chance, systematische Reviews zu rehabilitieren und ihre ursprüngliche Funktion zu sichern.
Die Thesen und Empfehlungen werden am 9. März 2026 von 16:30 bis 18:00 Uhr in einem Online-EbM-Forum vorgestellt und diskutiert. Die Autoren laden Interessierte ein, Fragen zu stellen und zur Umsetzung hochwertiger Reviews beizutragen.
Das EbM-Netzwerk, seit 1998 aktiv, vereint Fachleute aus Medizin, Pflege, Public Health und weiteren Bereichen. Es fördert den Austausch zu evidenzbasierter Praxis durch Veranstaltungen, Publikationen und die ZEFQ als offizielles Organ. Die Zeitschrift behandelt seit Jahrzehnten Themen wie Qualitätsmanagement, Patientensicherheit und Evidenztransfer.
Diese Initiative verdeutlicht ein systemisches Problem in der Wissenschaftskommunikation: Die Publikationsflut überfordert Nutzer und mindert den Wert einzelner Arbeiten. Durch Fokus auf Relevanz und Methodik könnten Ressourcen effizienter genutzt und die Evidenzbasis gestärkt werden. Der Beitrag regt zu einer notwendigen Reflexion an und könnte langfristig zu höheren Standards in der Sekundärforschung führen. In einer Zeit knapper Mittel und komplexer gesundheitspolitischer Entscheidungen sind verlässliche Reviews unverzichtbar – ihr Schutz erfordert gemeinsames Handeln.
Entdecke mehr von LabNews
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.
