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Asthma-Notfallmedikamente werden knapp: Versorgungsmangel bei Salbutamol entlarvt Schwächen im Arzneimittelmanagement des Bundes

In Deutschland spitzt sich die Versorgungslage mit salbutamolhaltigen Inhalationsmitteln dramatisch zu. Für Millionen von Asthmatikerinnen und Asthmatikern ist der Wirkstoff Salbutamol essenziell – doch Dosieraerosole sind seit Monaten kaum erhältlich. Der offiziell anerkannte Versorgungsmangel besteht bereits seit Ende 2023 fort, und die Bundesregierung unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) konnte bislang keine nachhaltige Lösung präsentieren. Damit wird ein strukturelles Problem sichtbar: Deutschland ist bei der Arzneimittelversorgung zunehmend abhängig von globalen Lieferketten, während nationale Steuerungsmechanismen versagen[1][2][3][4].


Zwei Jahre Engpass – kein Ende in Sicht

Seit fast zwei Jahren bestehen massive Lieferprobleme bei Salbutamol-Dosieraerosolen, die besonders bei akuten Asthmaanfällen unverzichtbar sind. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist der Engpass durch Produktionsprobleme und eine stark gestiegene weltweite Nachfrage nach Inhalationspräparaten verursacht. Hinzu kommt das Auslaufen älterer Produktionsanlagen und die teilweise Aufgabe der Herstellung durch große Hersteller wie Sandoz, die sich aufgrund neuer EU-Umweltvorgaben („F-Gas-Verordnung“) aus der Produktion zurückziehen[3][5].

Zwar werden Salbutamol-Lösungen und orale Darreichungsformen weiterhin produziert, sie gelten aber nicht als vollwertiger Ersatz, da sie bei akuten Asthmaanfällen nicht dieselbe Wirksamkeit und Schnelligkeit bieten. Das BfArM musste im Herbst 2025 erneut feststellen, dass die Versorgung bis mindestens Anfang 2026 unsicher bleibt, obwohl rechtzeitig Importgenehmigungen und Notfallmaßnahmen beschlossen wurden[1][6].


Ursachen: EU-Auflagen, Marktkonzentration und Produktionsverlagerung

Ein zentraler Faktor ist die EU-Verordnung 2024/573, die fluorierte Treibgase – die sogenannten F-Gase – bis 2050 weitgehend verbieten soll. Diese Gase sind in Asthma-Dosieraerosolen als Treibmittel enthalten. Hersteller müssen daher in kürzester Zeit auf alternative Treibmittel umstellen. Kleinere Produktionslinien wurden daraufhin geschlossen, größere Werke verlagert – häufig ins außereuropäische Ausland.

Damit hat sich die Zahl der weltweiten Produktionsstätten für Salbutamol seit 2022 halbiert. In Deutschland wird der Markt heute zu großen Teilen über Importe aus Spanien, Indien und den USA versorgt[7][8]. Besonders kritisch: Für 2025 liegen laut BfArM noch keine festen Importmengen vor[7], die Versorgung ist so abhängig von kurzfristigen Lieferungen, dass zeitweilige Ausfälle jederzeit denkbar sind.


Folgen: Chronisch Kranke ohne Sicherheit

Schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen in Deutschland sind regelmäßig auf bronchienerweiternde Medikamente angewiesen, darunter Kinder und ältere Patientinnen und Patienten. Der Engpass führt dazu, dass Apotheken vielerorts improvisieren müssen, um Alternativen anzubieten. Apothekerverbände sprechen inzwischen von einer „chronifizierten Mangellage“, die das Vertrauen in das Gesundheitssystem erschüttert[2][4].

Ärzte raten, auf Pulverinhalatoren auszuweichen – diese erfordern jedoch andere Anwendungstechniken und sind für Kinder oder ältere Menschen oft ungeeignet[9]. Auch substitutive Therapieformen belasten die Krankenkassen finanziell – was wiederum über Rabattsysteme und Lieferverträge reguliert wird, die das BMG bislang kaum reformiert hat[10].


Politisches Versagen: Das BMG reagiert zu spät und inkonsequent

Das Bundesgesundheitsministerium unter Leitung von Ministerin Nina Warken hat zwar Maßnahmen zur Stabilisierung der Medikamentenversorgung angekündigt, doch entscheidende Fortschritte bleiben aus. Das sogenannte „Lieferengpass-Gesetz“, das bereits 2023 beschlossen wurde, sollte eine frühzeitige Marktüberwachung und verpflichtende Lagerhaltung für kritische Arzneimittel etablieren. In der Praxis jedoch hat sich kaum etwas verbessert: Die gesetzlichen Regelungen greifen nur, wenn Unternehmen freiwillig Produktionsdaten übermitteln, eine verbindliche staatliche Bevorratung existiert nicht[11].

Darüber hinaus hat das BMG im Herbst 2025 mit seiner „Apothekenreform“ zwar die Notdienststrukturen verbessert, doch an der zentralen Engpassproblematik ändert dies nichts[12][13][10]. Kritiker werfen dem Ministerium vor, strukturelle Schwächen zu kaschieren, statt sie zu beheben. Während andere EU-Staaten strategische Arzneimittelreserven aufbauen, bleibt Deutschland bei Engpässen auf kurzfristige Importe angewiesen[14][15].


Experten fordern nationale Arzneimittelstrategie

Gesundheitsexperten betonen, dass Deutschland dringend eine industriepolitisch verankerte Arzneimittelstrategie brauche. So sollte die Produktion lebenswichtiger Generika, darunter Beta-2-Sympathomimetika wie Salbutamol, wieder stärker im Inland oder innerhalb der EU angesiedelt werden. Zudem sollten Lieferengpass-Gremien verbindliche Durchgriffsrechte erhalten, um frühzeitig auf drohende Knappheiten reagieren zu können[16][17][11].

Ein weiteres Defizit liegt in der Rabattvertragslogik zwischen Krankenkassen und Herstellern: Diese führt zu extremen Preisdruckmechanismen, die vor allem bei älteren Wirkstoffen wie Salbutamol die Profitabilität schmälern. Weil sich der deutsche Markt für viele Hersteller nicht mehr lohnt, zogen sie sich schrittweise zurück – ein strukturelles Problem, das die Politik jahrelang ignoriert hat[14][15].


Fazit: Ein Lehrstück für gesundheitspolitisches Fehlmanagement

Der Salbutamol-Engpass ist kein isoliertes Phänomen, sondern Ausdruck eines lange vernachlässigten Strukturproblems in der Arzneimittelpolitik. Während Patienten auf lebenswichtige Medikamente warten, konzentriert sich das Gesundheitsministerium auf sekundäre Reformpakete und legislatives Kleinmanagement. Weder der Aufbau europäischer Produktionskapazitäten noch eine hinreichend robuste Notfallbevorratung sind umgesetzt worden.

Offen bleibt, ob die im Koalitionsvertrag angekündigte nationale Wirkstoffstrategie tatsächlich umgesetzt wird. Bis dahin bleibt Deutschlands Arzneimittelversorgung ein System permanenter Krisenverwaltung – abhängig von kurzfristigen Importen, Verfügbarkeiten und dem politischen Willen, endlich industriepolitische Verantwortung zu übernehmen.


Quellen:
BfArM: Verfügbarkeit von Salbutamol-haltigen Arzneimitteln[1]
Apotheke Adhoc, Pharmazeutische Zeitung, PTA in Love – Versorgungsberichte 2024/2025[2][9][7][3][4]
BMG-Eckpunktepapier und Apothekenreform 2025[11][10][12]
Barmer, GKV-Verband, Arzneimittelstudien zur Versorgungsstabilität[17][14][15]

Quellen:
[1] Informationen zur Verfügbarkeit von salbutamolhaltigen … https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/salbutamol.html
[2] Salbutamol: Versorgungsmangel seit knapp 2 Jahren https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/salbutamol-versorgungsmangel-seit-knapp-2-jahren/
[3] Salbutamol-Engpass: „Noch können wir irgendwie … https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/salbutamol-engpass-noch-koennen-wir-irgendwie-versorgen/
[4] Salbutamol-Engpass: Was gilt beim Austausch https://www.apotheke-adhoc.de/rubriken/detail/apo-tipp/salbutamol-engpass-was-gilt-beim-austausch/
[5] Sandoz kündigt Produktions-Aus von Salbutamol-Sprays an https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2025/05/26/sandoz-kundigt-produktionsaus-von-salbutamol-sprays-an
[6] Neuer Salbutamol-Import abgebbar https://www.flora-apotheke-regensburg.de/2025/10/15/neuer-salbutamol-import-abgebbar/
[7] Salbutamol: Droht 2025 der nächste Engpass? https://www.pta-in-love.de/salbutamol-droht-2025-der-naechste-engpass/
[8] Engpässe und EU-Auflagen läuft da was https://www.pharmazeutische-zeitung.de/engpaesse-und-eu-auflagen-laeuft-da-was-156520/
[9] Wenn möglich, auf Pulverinhalatoren umstellen https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wenn-moeglich-auf-pulverinhalatoren-umstellen-157457/
[10] Mehr Flexibilisierung ist richtig, aber Rabattsystematik darf … https://www.vdek.com/presse/pressemitteilungen/2025/gesetz-weiterentwicklung-apothekenversorgung-rabattsystematik.html
[11] [PDF] BMG Stand: 16. Dezember 2022 Eckpunktepapier Vermeidung von Lieferengpässen von Arzneimitteln, Verbesserung der Versorgung mit https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/L/Lieferengpass-Gesetz/221216_Eckpunktepapier_LieferengpassG.pdf
[12] Warken: Wir stärken die Apotheken vor Ort https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/apothekenreform-16-09-25.html
[13] Die neue Apotheken-Reform | BMG https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/die-neue-apotheken-reform.html
[14] Ärzte warnen vor Engpässen bei über 500 Medikamenten https://www.focus.de/gesundheit/news/aerzte-warnen-vor-engpaessen-bei-ueber-500-medikamenten-was-das-fuer-sie-bedeutet_a60f5f7d-2b5a-4c3f-aacb-afb48ff77840.html
[15] Lieferengpässe auf breiter Front? Gesundheitsministerium … https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Lieferengpaesse-auf-breiter-Front-Gesundheitsministerium-winkt-ab-460660.html
[16] Salbutamol – Was tun gegen den Engpass? https://www.deutschesarztportal.de/interaktiv/rp-newsletter/archiv/detail/salbutamol-was-tun-gegen-den-engpass
[17] Nr. 9 // 24. September 2025 https://www.barmer.de/resource/blob/1387706/95dcf8c7965efd3f4d2fdd4f23da6d07/berlin-kompakt-9-2025-data.pdf
[18] Lieferengpässe: 2025 startet mit etlichen Ausfällen https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/lieferengpaesse-2025-startet-mit-etlichen-ausfaellen/
[19] eckpunktepapier zur apothekenreform des … https://www.kbv.de/documents/positionen/stellungnahmen/2025/kbv-stellungnahme-apothekenreform-eckpunktepapier.pdf
[20] Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zur Bekämpfung … https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/arzneimittelgesetz-kabinett-05-04-23.html

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