Seltene Erden – eine Gruppe von 17 chemischen Elementen, darunter Neodym, Dysprosium und Lanthan – sind die unsichtbaren Helden der modernen Technologie. Sie finden sich in Windkraftanlagen, Elektroautos, Smartphones, Medizintechnik und Rüstungssystemen. Doch trotz ihrer zentralen Rolle für die Energiewende und die Digitalisierung steht Deutschland vor einer ernsten Herausforderung: Die Bundesrepublik ist nahezu vollständig von Importen dieser kritischen Rohstoffe abhängig, insbesondere aus China. Diese Abhängigkeit birgt wirtschaftliche, geopolitische und ökologische Risiken, die dringend adressiert werden müssen.
Die Bedeutung Seltener Erden für Deutschland
Seltene Erden sind essenziell für die Hochtechnologie-Industrie, die einen Kern der deutschen Wirtschaft bildet. Unternehmen wie Siemens, Bosch oder Volkswagen sind auf diese Rohstoffe angewiesen, um Magnete für Elektromotoren, Sensoren oder Batterien zu produzieren. Laut einer Studie des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) von 2024 benötigt die deutsche Industrie jährlich etwa 12.000 Tonnen Seltener Erden, Tendenz steigend. Besonders die Energiewende treibt die Nachfrage: Bis 2030 soll der Bedarf durch den Ausbau erneuerbarer Energien und die Elektromobilität um bis zu 40 % steigen.
Doch Deutschland verfügt über keine nennenswerten eigenen Vorkommen. Die Lagerstätten in Sachsen und Bayern sind geologisch unbedeutend oder wirtschaftlich nicht abbauwürdig. Der Abbau Seltener Erden ist zudem aufwendig, umweltbelastend und kapitalintensiv, was viele Länder davon abhält, eigene Projekte zu starten. Infolgedessen importiert Deutschland fast 100 % der benötigten Seltenen Erden, wobei China den globalen Markt dominiert.
Chinas Marktdominanz
China kontrolliert etwa 60 % der weltweiten Fördermenge und über 85 % der Verarbeitungskapazitäten für Seltene Erden (Stand 2025). Diese Dominanz ist das Ergebnis langfristiger strategischer Investitionen seit den 1980er-Jahren. Das Land verfügt nicht nur über große Vorkommen, sondern hat auch die Verarbeitungskette – von der Förderung über die Raffination bis zur Herstellung von Halbzeugen – perfektioniert. Europäische oder amerikanische Unternehmen können hier preislich kaum konkurrieren, da China durch niedrige Umweltstandards und staatliche Subventionen Kostenvorteile erzielt.
Die Abhängigkeit von China birgt erhebliche Risiken. Geopolitische Spannungen, wie etwa Handelskonflikte oder Sanktionen, könnten Lieferketten unterbrechen. Ein prägnantes Beispiel ist der Handelsstreit zwischen China und Japan 2010, als China zeitweise die Ausfuhr Seltener Erden nach Japan einschränkte. Für Deutschland, dessen Industrie auf Just-in-Time-Produktion angewiesen ist, wären Lieferengpässe katastrophal. Zudem nutzt China seine Marktmacht, um Preise zu beeinflussen. Zwischen 2020 und 2024 schwankten die Preise für Neodym teilweise um bis zu 50 %, was die Kostenplanung deutscher Unternehmen erschwert.
Geopolitische und wirtschaftliche Risiken
Die Abhängigkeit von China ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein geopolitisches Problem. In einer Welt zunehmender globaler Unsicherheiten – sei es durch den Ukraine-Krieg, Spannungen im Indopazifik oder protektionistische Tendenzen – wird die Kontrolle über kritische Rohstoffe zu einem Machtfaktor. China hat wiederholt angedeutet, Seltene Erden als Druckmittel in internationalen Verhandlungen einzusetzen. Für Deutschland, das seine außenpolitische Handlungsfähigkeit wahren will, ist dies ein Alarmzeichen.
Auch die Abhängigkeit von wenigen Lieferketten macht die deutsche Wirtschaft verwundbar. Laut einer Analyse der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) von 2024 stammen über 90 % der deutschen Importe Seltener Erden direkt oder indirekt aus China. Alternative Lieferländer wie Australien oder Kanada haben zwar eigene Vorkommen, doch ihre Förderkapazitäten sind begrenzt, und die Verarbeitung erfolgt oft ebenfalls in China. Diese Konzentration birgt das Risiko von Lieferengpässen, etwa bei Naturkatastrophen, politischen Krisen oder pandemiebedingten Störungen.
Ökologische und ethische Herausforderungen
Der Abbau und die Verarbeitung Seltener Erden sind mit erheblichen Umweltproblemen verbunden. In China, wo die Umweltauflagen oft lax sind, führt der Abbau zu Boden- und Wasserverschmutzung sowie zur Freisetzung radioaktiver Abfälle. Deutsche Unternehmen stehen daher vor einem Dilemma: Einerseits wollen sie nachhaltige Produkte herstellen, andererseits sind sie auf Rohstoffe angewiesen, deren Förderung oft ökologisch verheerend ist. Verbraucher und NGOs wie Greenpeace üben zunehmend Druck aus, transparente und umweltfreundliche Lieferketten zu gewährleisten.
Auch ethische Fragen kommen ins Spiel. In einigen Förderregionen, etwa in der Inneren Mongolei, gibt es Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und Gesundheitsrisiken für Minenarbeiter. Für Deutschland, das sich als Vorreiter in der nachhaltigen Wirtschaft sieht, ist dies ein Widerspruch, der schwer zu rechtfertigen ist.
Strategien zur Reduzierung der Abhängigkeit
Um die Abhängigkeit von Seltenen Erden zu verringern, verfolgt Deutschland mehrere Ansätze, die jedoch unterschiedlich weit entwickelt sind:
- Diversifizierung der Lieferketten: Die Bundesregierung fördert Partnerschaften mit Ländern wie Australien, Kanada und Norwegen, die über Vorkommen Seltener Erden verfügen. Projekte wie die Lynas-Mine in Australien oder die geplante Förderung in Grönland könnten langfristig Alternativen bieten. Allerdings erfordern diese Projekte hohe Investitionen und Zeit, da neue Minen oft Jahre bis zur Produktionsreife benötigen.
- Recycling: Das Recycling von Seltenen Erden aus Altprodukten wie Elektroschrott oder Windkraftanlagen wird zunehmend wichtiger. Laut einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft könnten bis 2035 bis zu 20 % des Bedarfs durch Recycling gedeckt werden. Doch die Technologien sind noch nicht ausgereift, und die Rückgewinnung ist oft teurer als der Import.
- Forschung und Substitution: Deutsche Forschungsinstitute arbeiten an Alternativen zu Seltenen Erden. Beispielsweise entwickelt das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Magnete, die ohne Neodym auskommen. Solche Innovationen könnten die Abhängigkeit langfristig reduzieren, stehen aber noch in den Anfängen.
- Europäische Zusammenarbeit: Auf EU-Ebene wurde 2023 der „Critical Raw Materials Act“ verabschiedet, der den Aufbau eigener Förder- und Verarbeitungskapazitäten in Europa fördert. Projekte wie die Wiederbelebung von Minen in Schweden oder Portugal sind vielversprechend, doch die Umsetzung stockt aufgrund bürokratischer Hürden und lokaler Proteste gegen den Bergbau.
- Rohstoffdiplomatie: Deutschland intensiviert seine Zusammenarbeit mit rohstoffreichen Ländern, etwa durch Handelsabkommen oder Investitionen in lokale Infrastruktur. Dies birgt jedoch das Risiko, in neue Abhängigkeiten zu geraten, insbesondere in politisch instabilen Regionen.
Herausforderungen und Ausblick
Trotz dieser Ansätze steht Deutschland vor großen Herausforderungen. Der Aufbau alternativer Lieferketten und Recyclingkapazitäten erfordert Milliardeninvestitionen und politischen Willen. Zudem ist die Akzeptanz für neuen Bergbau in Europa gering, da Anwohner und Umweltgruppen oft gegen Projekte protestieren. Auch die Abstimmung mit internationalen Partnern gestaltet sich schwierig, da Länder wie die USA oder Japan ähnliche Interessen verfolgen und um dieselben Rohstoffquellen konkurrieren.
Langfristig wird Deutschland nicht vollständig autark in Bezug auf Seltene Erden werden können. Eine realistische Strategie besteht daher in einer Mischung aus Diversifizierung, Recycling, Forschung und internationaler Zusammenarbeit. Entscheidend ist, dass die Bundesregierung und die Industrie diese Maßnahmen beschleunigen, um die Resilienz der deutschen Wirtschaft zu stärken.
Fazit
Die Abhängigkeit Deutschlands von Seltenen Erden ist ein komplexes Problem, das wirtschaftliche, geopolitische und ökologische Dimensionen vereint. Die Dominanz Chinas, die Umweltbelastungen durch den Abbau und die steigende Nachfrage durch die Energiewende machen schnelles Handeln erforderlich. Während erste Schritte wie Recycling-Initiativen und internationale Partnerschaften vielversprechend sind, bleibt der Weg zu einer geringeren Abhängigkeit lang und steinig. Für Deutschland, das auf seine Hochtechnologie-Industrie angewiesen ist, ist dies jedoch eine strategische Notwendigkeit, um in einer unsicheren Welt wettbewerbsfähig und handlungsfähig zu bleiben.
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