Im niedersächsischen Harz sorgt eine aktuelle Studie für Besorgnis: Viele Kinder in der Region weisen erhöhte Bleikonzentrationen im Blut auf. Die Untersuchung, durchgeführt von Forschern der Ludwig-Maximilians-Universität München, bestätigt eine gesundheitliche Herausforderung, die auf die jahrhundertelange Bergbaugeschichte der Region zurückzuführen ist. Dieser Bericht beleuchtet die Ergebnisse, die Ursachen, die gesundheitlichen Risiken und die geplanten Maßnahmen zur Reduzierung der Belastung.
Die Studie, die im September 2023 begann und im Juni 2024 abgeschlossen wurde, untersuchte das Blut von 310 Kindern im Landkreis Goslar. Das erschreckende Ergebnis: 51 Prozent der getesteten Kinder überschreiten den bundesweiten Referenzwert für Bleikonzentrationen im Blut. Dieser Wert liegt bei etwa 35 Mikrogramm pro Liter für Kinder, doch viele Kinder im Harz zeigen deutlich höhere Werte. Die Untersuchung, die auf freiwilliger Basis im Rahmen von Schuluntersuchungen durchgeführt wurde, ist Teil einer umfassenderen Initiative des Landkreises Goslar, um die Auswirkungen von Umweltbelastungen auf die Gesundheit der Bevölkerung zu verstehen.
Die Ursache der erhöhten Bleibelastung liegt in der Vergangenheit des Harzes. Der Bergbau, insbesondere am Rammelsberg in Goslar, hat über Jahrhunderte hinweg Blei und andere Schwermetalle in die Böden der Region eingetragen. Diese kontaminierten Böden sind nach wie vor eine Hauptquelle der Belastung. Kinder, die draußen spielen, kommen regelmäßig mit dem belasteten Boden in Kontakt, sei es durch direkte Berührung oder das Einatmen von Staubpartikeln. Walter Schmotz, Leiter der unteren Bodenschutzbehörde des Landkreises Goslar, betonte: „Die erhöhten Bleigehalte in den Böden sind eindeutig auf die Bergbauaktivitäten zurückzuführen.“ Aktuelle Industrieaktivitäten in der Region wurden hingegen als Ursache ausgeschlossen.
Die gesundheitlichen Risiken von Blei, insbesondere für Kinder, sind gravierend. Dennis Nowak, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der LMU München, erklärte, dass Blei das Nervensystem schädigen kann. Bereits geringe Konzentrationen können das Hör- und Lernvermögen beeinträchtigen. Bei hohen Werten, etwa über 450 Mikrogramm pro Liter, besteht die Gefahr von Bluthochdruck, Nierenschäden und sogar Krebs. Obwohl die aktuelle Studie keine direkten gesundheitlichen Schäden bei den untersuchten Kindern nachweisen konnte, unterstreicht Nowak die Dringlichkeit präventiver Maßnahmen. Kinder sind besonders anfällig, da ihr Körper und ihr Gehirn noch in der Entwicklung sind und Blei leichter aufgenommen wird.
Die aktuelle Untersuchung knüpft an frühere Studien an, die ebenfalls besorgniserregende Ergebnisse lieferten. Bereits 2022 zeigte ein umweltmedizinisches Gutachten an den Grundschulen in Oker und Harlingerode, dass 48 Prozent der Kinder erhöhte Bleiwerte hatten. Diese Ergebnisse führten zur Beauftragung der sogenannten BLENCA1- und BLENCA2-Studien durch den Landkreis Goslar, die die Grundlage für die aktuelle Untersuchung bildeten. Ein Vergleich mit Daten aus den Jahren 1979 bis 1980 zeigt jedoch eine positive Entwicklung: Damals lagen die durchschnittlichen Bleiwerte bei 230 Mikrogramm pro Liter bei Mädchen und 280 Mikrogramm pro Liter bei Jungen – etwa zehnmal höher als heute. Dies deutet darauf hin, dass Maßnahmen wie die Abschaffung von bleihaltigem Benzin und strengere Umweltauflagen bereits Wirkung zeigen.
Die Studie wurde nach strengen wissenschaftlichen Standards durchgeführt und unterliegt einem Peer-Review-Prozess, um die Validität der Ergebnisse zu sichern. Peer-Review-Verfahren, bei denen unabhängige Experten die Methodik, Datenanalyse und Schlussfolgerungen prüfen, sind in der medizinischen Forschung Standard, um Verzerrungen zu vermeiden und die Verlässlichkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Die Harz-Studie erfüllt diese Kriterien, da sie in Zusammenarbeit mit renommierten Institutionen wie der LMU München durchgeführt wurde. Dennoch betonen die Forscher, dass weitere Untersuchungen notwendig sind, um die langfristigen Auswirkungen der Belastung zu verstehen und die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen zu bewerten.
Der Landkreis Goslar hat bereits erste Schritte eingeleitet, um die Bleibelastung zu reduzieren. Ein zentraler Ansatz ist der Austausch kontaminierter Böden, insbesondere auf Kinderspielflächen. In den vergangenen Jahren wurden erste Flächen saniert, und weitere Projekte sind geplant. Zusätzlich wird die Bevölkerung über einfache Verhaltensmaßnahmen informiert, die die Belastung verringern können. Dazu gehört regelmäßiges und gründliches Händewaschen, insbesondere nach dem Spielen im Freien, sowie das Vermeiden von direktem Kontakt mit Staub in belasteten Gebieten. Landrat Alexander Saipa betonte, dass die gesundheitlichen Vorteile des Spielens an der frischen Luft die Risiken überwiegen, solange diese Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden.
Die Ergebnisse der Studie haben auch politische Reaktionen ausgelöst. Saipa nannte die hohen Bleiwerte „teilweise überraschend“, insbesondere in Gebieten mit niedriger Bodenbelastung. Dies deutet darauf hin, dass weitere Quellen, wie etwa Bleistaub in Wohnhäusern oder Wasserleitungen, untersucht werden müssen. Der Landkreis plant, etwa 1.200 Schulanfänger auf Schwermetalle zu testen, um ein umfassenderes Bild der Belastung zu erhalten. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit Experten intensiviert, um gezielte Beratungsangebote für Familien mit besonders hohen Werten bereitzustellen.
Die Situation im Harz ist ein Weckruf für andere Regionen mit ähnlicher Industriegeschichte. Blei ist ein heimtückisches Gift, das sich über Jahrzehnte in der Umwelt anreichert und besonders vulnerable Gruppen wie Kinder gefährdet. Die Studienergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, historische Umweltbelastungen ernst zu nehmen und langfristige Strategien zu entwickeln. Gleichzeitig zeigen die Fortschritte im Vergleich zu den 1970er-Jahren, dass gezielte Maßnahmen Wirkung zeigen können.
Für die betroffenen Familien im Harz bleibt die Situation beunruhigend. Viele Eltern fragen sich, wie sie ihre Kinder schützen können, ohne deren Alltag einzuschränken. Die Empfehlungen der Experten – Händewaschen, saubere Spielbereiche und regelmäßige Kontrollen – sind erste Schritte, doch die vollständige Sanierung der Böden wird Jahre in Anspruch nehmen. Bis dahin bleibt die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Bevölkerung entscheidend, um die Gesundheit der jüngsten Generation zu schützen.
Die Harz-Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Umweltmedizin und ein Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Forschung konkrete Maßnahmen anstoßen kann. Durch die Einbindung von Peer-Review-Verfahren und die Zusammenarbeit mit führenden Institutionen liefert sie verlässliche Daten, die als Grundlage für politische und gesellschaftliche Entscheidungen dienen. Die Herausforderung besteht nun darin, diese Erkenntnisse in effektive Maßnahmen umzusetzen, um die Kinder im Harz und darüber hinaus vor den Gefahren von Blei zu schützen.
