Eine umfassende Recherche des investigativen Medienhauses CORRECTIV wirft ein Schlaglicht auf die engen Verbindungen des amtierenden Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) zu Großkonzernen und Lobbyorganisationen. Unter dem Titel „Der Mann der Großkonzerne: Das Lobby-Netzwerk von Friedrich Merz“ zeigt die Untersuchung, wie Merz über Jahrzehnte ein Netzwerk aufbaute, das ihn zum idealen Ansprechpartner für die Interessen der Wirtschaft machte – und welche Fragen dies für seine Rolle als Regierungschef aufwirft.
Merz’ Karriere: Vom Anwalt zum Kanzler
Friedrich Merz, seit Mai 2025 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, war lange vor seinem politischen Comeback eine zentrale Figur in der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik. Als Anwalt und Senior Counsel der internationalen Kanzlei Mayer Brown betreute er bis 2021 namhafte DAX-Unternehmen, darunter den Chemieriesen BASF. Erstmals bestätigte BASF frühere Mandate Merz’ aus den Jahren 2010 und 2011, die bisher nicht öffentlich dokumentiert waren. Über die genauen Tätigkeiten schweigt der Konzern jedoch.
Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit saß Merz in zahlreichen Aufsichtsräten, unter anderem bei AXA, HSBC Trinkaus, der Deutschen Börse und dem Stadtwerkeverbund WEK. Besonders auffällig ist seine Rolle im Verwaltungsrat von BASF Antwerpen, einer Tochtergesellschaft des Chemieunternehmens. Diese Positionen, gepaart mit seiner Arbeit für Mayer Brown, brachten Merz Einkünfte in Millionenhöhe. Sein ehemaliger Kanzleikollege John P. Schmitz lobt Merz’ Fähigkeiten unverhohlen: „Er war der beste Mann der DAX-Konzerne, weil er wusste, wie man politische Kontakte für Mandanten nutzt.“
Einfluss auf die Politik: Das CDU-Wahlprogramm
Die CORRECTIV-Recherche zeigt, wie stark Merz’ Verbindungen zur Wirtschaft in die Politik hineinwirken. Das Wahlprogramm der CDU für die Bundestagswahl 2025 enthält Passagen, die nahezu wörtlich Forderungen von Lobbyorganisationen wie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Wirtschaftsvereinigung Metals (WVM) übernehmen. Diese fordern unter anderem Steuersenkungen, weniger Bürokratie und eine Lockerung von Umweltvorschriften – Punkte, die auch im CDU-Programm prominent vertreten sind.
Organisationen wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und der Wirtschaftsrat der CDU, die Merz seit Jahren unterstützen, spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Die INSM, finanziert von der Metall- und Elektroindustrie, setzte sich in den vergangenen Jahren für eine „marktkonforme“ Politik ein, die Großkonzernen zugutekommt. Der Wirtschaftsrat der CDU wiederum, in dem Merz lange aktiv war, agiert als direkte Schnittstelle zwischen Partei und Unternehmen. Laut CORRECTIV war Merz ein gefragter Redner auf Veranstaltungen dieser Organisationen, wo er seine Vision einer deregulierten Wirtschaft präsentierte.
Kritik aus der Politik
Die Enthüllungen stoßen auf scharfe Kritik aus der Opposition. SPD-Bundestagsabgeordneter Frank Schwabe fordert volle Transparenz über Merz’ frühere Mandate und warnt vor möglichen Interessenkonflikten: „Die Bürger haben ein Recht zu wissen, für wen ihr Kanzler gearbeitet hat.“ Noch schärfer äußert sich Ines Schwerdtner, Vorsitzende der Linken, die Merz als „personifizierten Drehtüreffekt“ bezeichnet. Sie verweist darauf, dass Merz’ Wechsel von der Politik in die Wirtschaft und zurück die Gefahr birgt, dass politische Entscheidungen im Interesse weniger Konzerne getroffen werden.
Auch unabhängige Experten schlagen Alarm. Politikwissenschaftler Thomas Biebricher von der Universität Frankfurt beschreibt Merz als den „am stärksten neoliberal geprägten Kanzlerkandidaten, den Deutschland je hatte“. Diese Ausrichtung könnte laut Biebricher dazu führen, dass Umwelt- und Sozialstandards zugunsten wirtschaftlicher Interessen geschwächt werden. Besonders kritisch sieht er Merz’ Nähe zur Chemieindustrie, die von einer Lockerung strenger Umweltauflagen profitieren könnte.
Merz’ Reaktion: Schweigen
Die Pressestelle des Bundeskanzlers ließ Anfragen von CORRECTIV zu möglichen Interessenkonflikten unbeantwortet. Auch auf Nachfragen zu seinen früheren Mandaten und deren Einfluss auf aktuelle politische Entscheidungen gab es keine Stellungnahme. Diese Zurückhaltung nährt Zweifel an Merz’ Transparenz und befeuert die Debatte über die Rolle von Lobbyismus in der deutschen Politik.
Fazit: Ein Kanzler unter Beobachtung
Die CORRECTIV-Recherche legt offen, wie tief Friedrich Merz in die Strukturen der Großindustrie und des Lobbyismus eingebunden war – und möglicherweise noch ist. Während seine Befürworter seine wirtschaftliche Expertise loben, sehen Kritiker in seiner Vergangenheit ein Risiko für die Unabhängigkeit seiner politischen Entscheidungen. Angesichts der Herausforderungen, vor denen Deutschland steht – von der Klimakrise bis zur sozialen Gerechtigkeit – wird Merz’ Kanzlerschaft weiterhin genau beobachtet werden. Die Frage bleibt: Wessen Interessen wird er vorrangig vertreten?
Quelle: CORRECTIV, „Der Mann der Großkonzerne: Das Lobby-Netzwerk von Friedrich Merz“, 28. Januar 2025, https://correctiv.org/aktuelles/wirtschaft/2025/01/28/bester-mann-der-grosskonzerne-das-lobby-netzwerk-von-friedrich-merz/
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